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Gastblogger LVR-LandesMuseum Bonn

Unfreie in der freien Republik?

Lebensrealitäten von versklavten Menschen in den frühneuzeitlichen Niederlanden und ihren Kolonien

Die Welt liegt ihr zu Füßen: Die Personifikation der Stadt Amsterdam empfängt auf dem Tympanon der Westseite des Stadthuis mit ausgebreiteten Armen Waren aus sämtlichen Kontinenten. Damit inszenierte sich die Kolonialmacht Niederlande bildlich als Zentrum der Welt, das über jegliche Güter verfügen durfte.[1]

Auf dem Fries werden der Stadt je nach Kontinent typische Güter angeboten. Perfide eingereiht neben Rindern und Kamelen müssen sich der Personifikation Amsterdams im linken Giebel auch Menschen präsentieren. Der in Federschmuck gekleidete und zwei gefesselte versklavte Personen feilbietende Mann stellt beispielsweise den amerikanischen Kontinent symbolisch-klischeehaft dar. Die Bildsprache des Tympanons verdeutlicht das damalige imperialistische und rassistische Denkmuster der Niederländer: Schwarze Männer und Frauen waren mehr Objekt und Handelsgut als Mensch.

Ein Druck eines Kupferstichs, der in einem großen Dreieck eine Fülle von Personen und Tieren zeigt. Sie orientieren sich zur Mitte, in der eine Frau vor einem Schiffsmast thront.
Hubert Quellinus: Tympanonfries des Stadhuis von Amsterdam, Westseite, 1665, Kupferstich und Radierung, 427 x 1687 mm, Rijksmuseum, Amsterdam. Foto: Rijksmuseum Amsterdam. Das Blatt ist in der Ausstellung „Augenlust? Niederländische Stillleben im Detail“ zu sehen.

Dem Tympanon zufolge wurden ­– anders als es das Bild des sogenannten „atlantischen Dreieckshandels“ suggeriert – versklavte Menschen nicht nur nach Amerika zur Zwangsarbeit verschleppt, sondern ebenso nach Europa. Das ist eine historische Realität, der in Wissenschaft und Öffentlichkeit erst seit Kurzem Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Die niederländische Kolonialmacht – ein „second rate player“?

Historiker Rik van Welie kategorisiert die niederländische Republik als „second rate player in the transatlantic slave trade“,[2] da die Gesamtzahl der durch die Niederländer verschleppten und versklavten Personen mit ca. 554.300 hinter größeren Weltmächten wie Großbritannien oder Portugal stand. Diese Kategorisierung über einen jahrhundertelangen Zeitraum darf jedoch nicht davon ablenken, dass die Niederlande in kleineren Zeitabschnitten eine weitaus drastischere Rolle im Sklavenhandel spielten. So lag der niederländische Anteil am transatlantischen Sklavenhandel während des sogenannten „Goldenen Zeitalters“ bei mehr als 20%,[3] wodurch die Generalstaaten die viertgrößte, teilweise sogar die drittgrößte Kolonialmacht dieser Zeit waren.[4]

Ab dem Zeitpunkt ihrer Versklavung in Afrika war das Leben der Menschen von Grausamkeiten geprägt. Während der Überfahrt waren sie qualvollen Zuständen wie Enge, Krankheit, Unterernährung und Erschöpfung ausgesetzt.[5] Auf dem neuen Kontinent angekommen, musste der Großteil der versklavten Männer und Frauen härteste Arbeiten verrichten – Arbeit, die den Wohlstand der Kolonien erst ermöglichte. Ihre Aufgaben erstreckten sich vom Ausbau der Infrastruktur und Landwirtschaft, dem Kanal- und Schanzenbau bis hin zur Verteidigung der Kolonie und dem Dienst als Henker.[6] Die Zwangsarbeit befreite die Siedler und Siedlerinnen damit von den schwersten und unehrenhaften Berufen der Zeit. Die versklavten Menschen wurden als günstige Arbeitskräfte und Statussymbole betrachtet, die ihren „Eignern“ Ansehen und Wohlstand einbrachten – und das nicht nur in den Kolonien.

Die Vereinigten Niederlande – eine freie Republik?

Viele niederländische Händler brachten bei ihrer Rückkehr nach Europa versklavte Männer und Frauen mit, die fortan als private häusliche Diener und Dienerinnen in den Städten arbeiten mussten. Dies galt in der Oberschicht als Zeichen für Karriereerfolg in Übersee und förderte das Prestige in der Heimat.[7] In den Niederlanden angekommen, war der rechtliche Status dieser Personen jedoch unsicher, da allen Menschen beim Betreten der Republik die Freiheit gewährt werden sollte.[8]

Trotzdem war die rechtliche Freiheit von versklavten Menschen in den Generalstaaten prekär und wurde kontrovers diskutiert. Die neue mikrohistorische Studie „Geschichte der Sklaverei in der niederländischen Republik. Recht, Rassismus und die Handlungsmacht Schwarzer Menschen und People of Color“ von Julia Holzmann deckt den sozialen und juristischen Status von versklavten Schwarzen Menschen in der niederländischen Republik auf. Die vier untersuchten versklavten Personen waren allesamt Diener und Dienerinnen in adligen Haushalten der niederländischen Städte.[9] Neben ihren häuslichen Aufgaben fungierten sie vor allem als Statussymbol für die „Eigner und Eignerinnen“, von denen sie in prunkvolle Kleidung gesteckt und präsentiert wurden. So wurden sie als Eigentum markiert und entmenschlicht. Die Möglichkeiten der Freilassung waren, ähnlich wie in den Kolonien, selten und unwahrscheinlich.[10]

Im Unterschied zu den Verhältnissen in den Kolonien mussten die in der Studie behandelten versklavten Männer und Frauen in der Republik weniger körperliche Schwerstarbeiten verrichten, da sie in den städtischen Haushalten insbesondere als Prestigeobjekte zur Repräsentation behandelt wurden. Die Einzelbeispiele von Holzmann bezeugen die Existenz von versklavten Menschen in Europa und relativieren das Ideal der „freien“ Republik. Die Lebensumstände von versklavten Personen waren nicht nur in den Kolonien, sondern auch in Europa geprägt von rassistisch begründeter Unfreiheit, Ausbeutung und sozialer Unterdrückung: Entmenschlichende Missstände, die theoretisch bis zur Abschaffung der Sklaverei in den niederländischen Kolonien im Jahr 1863 bittere Realität für Schwarze Menschen waren, in Wirklichkeit jedoch lange darüber hinaus wirkten.

Eine weiße Frau in einem dunkelrotem Kleid steht vor einer dunkeln Landschaft. Sie blickt den Betrachter an, während ihr von einem Schwarzen Kind in prachtvoller Kleidung eine Perlenkette ums Handgelenk gelegt wird.
Blick in die Kunst

Auf Prunkstillleben des 17. Jahrhunderts wird der Reichtum des Auftraggebers mit kostbaren Kelchen, exquisiten Stoffen und teuren Lebensmitteln präsentiert. Dabei führt der Begriff „Stillleben“ in die Irre, denn es wurde auch Lebendiges gezeigt: Papageien, Affen – und Menschen. So ist etwa auf diesem Gemälde von Jan Mijtens, betitelt „Margaretha van Raephorst. Frau von Cornelis Tromp“, neben der Dame ein Schwarzer Bediensteter (oder die Bedienstete) zu sehen. Sie bzw. er ist in feinste Stoffe gehüllt und trägt einen Perlenohrring. Das könnte auf den ersten Blick wie eine besonders zuvorkommende Behandlung des Kindes wirken – doch dient dies viel mehr eine Zurschaustellung des Reichtums und der Weltläufigkeit der Dame. Das Kind wird durch diese Darstellung von der übrigen Dienerschaft, die Margaretha van Raephorst ohne Zweifel hatte, hervorgehoben und als etwas „Besonderes“ charakterisiert. Wenn man bedenkt, dass aus den Kolonien in die Niederlande gebrachten Schwarzen Menschen das Recht auf Freiheit und Selbstbestimmung allein aufgrund ihrer Hautfarbe abgesprochen wurde, ist es sehr wahrscheinlich, dass die hier gezeigte Person kein Individuum darstellen soll. Viel mehr ist die Macht, die Stellung und der Reichtum van Raephorts und ihres Manns Gegenstand des Bildes – visualisiert durch kostbaren Schmuck, Perlen und den versklavten Schwarzen Menschen.  

Eine offizielle Entschuldigung des niederländischen Staats für das Unrecht der Sklaverei erfolgte erst im Dezember 2022, bei der Ministerpräsident Mark Rutte das chauvinistische niederländische Weltbild, das auf dem Tympanon des Amsterdamer Stadthuis immer noch erkennbar ist, verurteilte.[11]

[Samuel Dreßen, studentische Hilfskraft, LVR-LandesMuseum Bonn]


Unsere Ausstellung „Augenlust? Niederländische Stillleben im Detail“ ist nur noch bis zum 19. Februar 2023 zu sehen!

Weiterführende Literatur

  • Fatah-Black, Karwan/Rossum, Matthias van: Slavery in a „Slave Free Enclave“? Historical Links Between the Dutch Republic, Empire and Slavery, 1580s–1860s, in: Bulach, Doris/Schiel Juliane (Hgg.): Europas Sklaven (Werkstatt Geschichte 66/67), Essen 2015, S. 55–73.
  • Holzmann, Julia: Geschichte der Sklaverei in der niederländischen Republik. Recht, Rassismus und die Handlungsmacht Schwarzer Menschen und People of Color, 1680–1863 (Global- und Kolonialgeschichte 6), Bielefeld 2022.
  • Hondius, Dienke: Access to the Netherlands of Enslaved and Free Black Africans. Exploring Legal and Social Historical Practices in the Sixteenth–Nineteenth Centuries, in: Slavery and Abolition 32 (2011), S. 377–395.
  • Koekkoek, René/Richard, Anne-Isabelle/Weststeijn, Arthur (Hgg.): The Dutch Empire between Ideas and Practice, 1600–2000 (Cambridge Imperial and Post-Colonial Studies Series), Cham 2019.
  • Kuhlmann-Smirnov, Anne: Schwarze Europäer im Alten Reich. Handel, Migration, Hof (Transkulturelle Perspektiven 11), Göttingen 2013.
  • Mosterman, Andrea C.: Spaces of Enslavement. A History of Slavery and Resistance in Dutch New York (New Netherland Institute Studies), Ithaca 2021.
  • Münch, Birgit Ulrike: Die Schattenseiten des Luxus, in: Augenlust? Niederländische Stillleben im Detail. Begleitband zur Ausstellung, Dresden 2022, S. 125–135.
  • North, Michael: Das Goldene Zeitalter global. Die Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert, Köln/Weimar/Wien 2021.
  • Welie, Rik van: Slave Trading and Slavery in the Dutch Colonial Empire. A Global Comparison, in: New West Indian Guide 82 (2008), S. 47–96.

Abbildung

Jan Mijtens: Margaretha van Raephorst. Frau von Cornelis Tromp, 1668, Öl/Leinwand, 135×105 cm, Rijksmuseum, Amsterdam.
Foto: Rijksmuseum Amsterdam. Hinweis: Dieses Gemälde ist nicht in der Ausstellung „Augenlust? Niederländische Stillleben im Detail“ zu sehen.

Fußnoten

[1] Münch, Birgit Ulrike: Die Schattenseiten des Luxus, in: Augenlust? Niederländische Stillleben im Detail. Begleitband zur Ausstellung, Dresden 2022, S. 125–135, hier S. 130f.

[2] Welie, Rik van: Slave Trading and Slavery in the Dutch Colonial Empire. A Global Comparison, in: New West Indian Guide 82 (2008), S. 47–96, hier S. 55.

[3] Ebd.

[4] Vgl. auch die quantitativen Untersuchungen der Slave Voyage-Datenbank der Rice University auf https://www.slavevoyages.org/assessment/estimates.

[5] Münch, Schattenseiten, S. 130.

[6] Mosterman, Andrea C.: Spaces of Enslavement. A History of Slavery and Resistance in Dutch New York (New Netherland Institute Studies), Ithaca 2021, S. 23.

[7] Fatah-Black, Karwan/Rossum, Matthias van: Slavery in a „Slave Free Enclave“? Historical Links Between the Dutch Republic, Empire and Slavery, 1580s–1860s, in: Bulach, Doris/Schiel Juliane (Hgg.): Europas Sklaven (Werkstatt Geschichte 66/67), Essen 2015, S. 55–73, hier S. 63.

[8] Mit dem sogenannten „free-soil-principle“ grenzten sich die sieben Vereinigten Provinzen bewusst von der monarchischen Autorität der Habsburger, den bisherigen Machthabern in den Niederlanden, ab. Vgl. hierzu Holzmann, Julia: Geschichte der Sklaverei in der niederländischen Republik. Recht, Rassismus und die Handlungsmacht Schwarzer Menschen und People of Color, 1680–1863 (Global- und Kolonialgeschichte 6), Bielefeld 2022, S. 16–19.

[9] Ebd., S. 279.

[10] Ebd., S. 277f.

[11] https://www.tagesschau.de/ausland/europa/rutte-niederlande-sklaverei-entschuldigung-101.html. Die gesamte Rede Ruttes ist auf https://www.youtube.com/watch?v=jMsT02BHiUY einsehbar.

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