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Luise Tschirner

Eintausendundeine Scherbe – ein Glaskonvolut in der Restaurierung

Zur Sichtung und Restaurierung von Glasgefäßen, die im Zweiten Weltkrieg durch einen Bombenabwurf auf das Landesmuseum zerscherbten.

Als wissenschaftliche Volontärin in der archäologischen Restaurierung des LVR-LandesMuseums Bonn befasse ich mich mit der Restaurierung und Konservierung einer Bandbreite an Objekten unterschiedlicher Materialität. Ein kurzer Einblick in meinen Alltag: Der Wunsch in der Glaswerkstatt zu arbeiten bescherte mir und Kolleg*innen mehrere Kisten, gefüllt mit Glasfragmenten, die es zu sichten und teils zusammenzufügen bedurfte.

Zwei Fundkisten gefüllt mit diversen Kartons, in denen Glasfragmente unterschiedlicher Farbe und Größe in Fundtüten lagerten, wurden aus dem Depot in die Restaurierungswerkstatt des LVR-LandesMuseums Bonn (LVR-LMB) geliefert. Zusammen mit der Fachpraktikantin Silja Böttcher von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin sichtete ich die Tüten und breitete die fragmentierten Gläser großflächig aus.

Die Scherben der Glasgefäße befinden sich, durch ein Tauschgeschäft mit der Sammlung Nassauische Altertümer des Stadtmuseums Wiesbaden, seit 1938 in der Sammlung des LVR-LMB. Der Grund für das Zerscherben ist demnach nicht von ungefähr. Die Gläser sind im Zweiten Weltkrieg zu Schaden gekommen: Der Bombenabwurf auf das Museum am 28.12.1944 schädigte nicht nur das derzeit auch in der Konservierung und Restaurierung befindliche Medusen-Mosaik, sondern auch eine Vielzahl von Kleinfunden wie dieses Glaskonvolut. Die Spuren des Krieges sind sowohl an der Fragmentierung als auch den Verunreinigungen auf der Glasoberfläche zu erkennen, bei denen es sich vermutlich um Ruß handelt. Alte Glasergänzungen und Klebemittelreste lassen auf Restaurierungsmaßnahmen und so den Erhaltungszustand vor dem Krieg schließen. Bei den Klebstoffresten ist eine starke Alterungserscheinung in Form von Vergilben und Schrumpfen hervorzuheben.

Glasscherben und alte Ergänzungen, © LVR-LandesMuseum Bonn, Foto: J. Vogel

Immerhin existierten Schwarz-Weiß-Fotografien aus einem Sammlungskatalog des damaligen Provinzialmuseums einiger der Glasgefäße, die die Zustände der Gläser vor ihrer Zerstörung zeigen, wovon einige vollständig intakt waren.

Alte Sammlungsaufnahme eines Glasgefäßes.
Aufnahme aus Vorkriegszeit, © LVR-LandesMuseum Bonn
Alte Sammlungsaufnahme eines Glasgefäßes.

Aufnahme aus Vorkriegszeit, © LVR-LandesMuseum Bonn
Alte Sammlungsaufnahme eines Glasgefäßes.
Aufnahme aus Vorkriegszeit, © LVR-LandesMuseum Bonn

Zurück zu unserem Vorgehen: Um einen Überblick über vorhandene Gefäße und deren Form zu erhalten, legten wir die Scherben aus, sortierten sie nach Form und Besonderheiten im Glasgefüge wie Lufteinschlüssen, Schlieren oder aber Verzierungen wie Fadenauflagen. Die beschrifteten Tüten enthielten handgeschriebene Kärtchen mit der Inventarnummer und dem Fundort. Einzelne Scherben wiesen ebenso eine Beschriftung auf, fein säuberlich mit Tusche geschrieben – ein Kunstwerk an sich.

Bunte Glasscherben auf weißes Untergrund
Fundbeschriftung, © LVR-LandesMuseum Bonn, Foto: J. Vogel

Einzelne Tüten beinhalteten keine Beschriftung, lediglich Fragezeichen oder aber die Nennung mehrerer Nummern, sodass sich hierin Scherben diverser Gefäße befinden konnten. Aber nicht nur das half beim Zuordnen. Auch Verunreinigungen und Glaskorrosion gaben Aufschluss über ihre Zugehörigkeit. Motiviert startete das konzentrierte Puzzeln. Schnell merkten wir, dass es eine nicht ganz einfache Aufgabe ist und sich die unter Restaurator*innen und ambitionierten Puzzler*innen bekannte Betriebsblindheit beim Finden zusammengehörender Bruchstücke breitmacht. Mein Trick hierbei ist das häufige Wechseln zwischen den einzelnen Gefäßen.

Recht schnell waren die besonders prägnanten Scherben in Türkis oder aber hauchdünner Stärke zusammengesucht, sodass das erste Zusammensetzen erfolgen konnte. Dieser Schritt ist in der Glasrestaurierung erst nach einer Oberflächenreinigung vorgesehen, doch bei der Menge an Scherben, die auf unserem Tisch lagen, brauchten wir den Platz und verzichteten vorerst beim Vorsortieren auf das Auslegen des sogenannten Scherbennetzes. Für das Zusammensetzen auf Probe benutzen wir ein spezielles Klebeband, welches wieder gut entfernbar ist und keinerlei Klebefilm auf der Oberfläche hinterlässt. Dies wird in feine Streifen geschnitten und kann einfach mit der Pinzette über die Bruchfläche zweier aneinander gehörender Scherben gesetzt werden. Dies kann jedoch nicht bei allen Scherben gleich aufgebracht werden. Manche weisen eine starke Korrosionsschicht, die sogenannte Irisschicht (Irisieren; Bedeutung: in Regenbogenfarben schillern, Duden) auf, die es zu erhalten gilt. In einem solchen Fall muss diese gesichert werden, indem mit einer niedrigviskosen Klebstoff-Lösemittel-Mischung der Teilbereich gesichert bzw. abgesperrt wird. Das Klebeband kann danach aufgebracht werden, ohne befürchten zu müssen die Irisschicht abzuziehen und in der verbleibenden Oberfläche die Umrisse des Bandes zu hinterlassen.
Jede Scherbe, die nicht direkt einzuordnen ist, wird gefühlt weitere hundert Mal in die Hand genommen. Grund hierfür sind auch die derart gleichen Materialfarben und -stärken. Häufig eignet es sich die Einzelscherbe gegen das Licht zu halten, um feinste Farbnuancen oder Schlieren zu erkennen und die gleich aussehenden Scherben differenzieren zu können.

Eine behandschuhte Hand hält zwei Glasscherben zwischen den Fingern.
Glasmatrix zweier Scherben im Durchlicht, © LVR-LandesMuseum Bonn, Foto: J. Vogel

Um mit der Konservierung und Restaurierung zu beginnen, sollten die Gefäße zusammengesetzt werden, die am vollständigsten sind. Die Wahl fiel auf drei Gläser kleineren Ausmaßes. Zuerst wurden die Bruchkanten und teils die Oberflächen mit Alkohol von Verunreinigungen und alten Klebstoffresten gereinigt, bevor es an das finale Zusammensetzen und somit Aufbauen des gesamten Gefäßes ging. Wie bereits beschrieben, wurden die Fragmente mittels kleiner Klebestreifen passgenau aneinandergeheftet, bevor zusätzlich sogenannte Omegahaken über den Bruch geklebt wurden. Diese sind zuvor in eigener Handarbeit aus einem gewalzten Messingdraht gebogen worden, sodass eine Omega-Form entsteht. Die Haken eignen sich für die Anbringung über einem Bruch, sodass im folgenden Schritt der Klebstoffeinbringung keinerlei Material direkt über dem Bruch aufliegt und zum Verlaufen des Klebstoffs führt. Der Schritt des Heftens bedarf Fingerspitzengefühl und Übung.

Zwei behandschuhte Hände setzen vorsichtig die Glasscherben zu ihrer ursprünglichen Gefäßform zusammen und befestigen sie mit kleinen metallenen Haken.
Zusammensetzen der Scherben mit Omegahaken, © LVR-LandesMuseum Bonn, Foto: J. Vogel
Zwei junge Frauen sitzen an einem Tisch in der Restaurierungswerkstatt und arbeiten konzentriert an der Zusammensetzung der Glasgefäße.
Arbeitssituation während der Restaurierung, © LVR-LandesMuseum Bonn, Foto: J. Vogel

Folgend wird Klebstoff in die Klebefuge injiziert, indem ein Zweikomponentenharz mit einem dünnen Holzstab auf die Klebefuge gestrichen und durch die sogenannte Kapillarwirkung hineingesogen wird. Am Folgetag beginnt die Nachreinigung der Oberfläche und nach der Aushärtung des Klebstoffs final die Entfernung von Omegahaken.

Gläser nach der Restaurierung, © LVR-LandesMuseum Bonn, Foto: J. Vogel

Da durch die Zerstörung im Krieg keines der zusammengesetzten und -gefügten Glasgefäße komplett erhalten ist und alle Fehlstellen aufweisen, werden nun Präsentationshilfen oder Ergänzungsmaßnahmen zur Stabilisierung der Teilbereiche entwickelt.
Die anderen Gefäße werden in Zukunft auf die gleiche Weise von Restaurator*innen, Studierenden und/oder Vorpraktikant*innen restauriert. Aber bis hierhin soll der Einblick in die Glasrestaurierung genügen.


[Luise Tschirner, wissenschaftliche Volontärin, LVR-LandesMuseum Bonn]

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