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Susanne Domke

Ein Block im Blog – Teil 6: Die Konservierung und Restaurierung

Es herrscht immer eine besondere Atmosphäre, wenn bei einer Ausgrabung überraschend menschliche Überreste in Form von Bestattungen gefunden werden. Im Januar 2018 entdeckten Archäolog*innen auf dem Wolbersacker in Rheinbach ein menschliches Skelett, dessen Alter auf mehr als 4000 Jahre geschätzt wird. Ein Glücksfall, denn laut Aussagen von Expert*innen handelt es sich um das erste erhaltene Skelett im Rheinland aus der Zeit um 2500 – 2050 v. Chr.: Ein Mensch der ausgehenden Jungsteinzeit.

Im Rahmen meines zweijährigen wissenschaftlichen Volontariates in den Restaurierungswerkstätten des LVR-LandesMuseums Bonn übernehme ich die Arbeitsschritte zwischen der Bergung und der geplanten Ausstellung ab dem Jahr 2022. Dazu berichte ich als Restauratorin in meinen Blog-Beiträgen über spannende Untersuchungsergebnisse, knifflige Konservierungs- bzw. Restaurierungsmaßnahmen und die vielen Stationen, die das jungsteinzeitliche Skelett auf dem Weg in die neue Dauerausstellung durchläuft.

Die Konservierung des Glockenbechers: Wie leer ist er wirklich?

Seien wir ehrlich, es wird langsam wirklich Zeit, das Innere des Glockenbechers unter die Lupe zu nehmen. Denn obwohl die Röntgenbilder keine weiteren, im Becher versteckten Grabbeigaben vermuten ließen, bringt erst die Entnahme der Erde wirkliche Gewissheit über das Innenleben des Bechers.

Die Entnahme erfolgt stratigrafisch, also Schicht für Schicht, mit der Anlage von fünf Plana: Eingeebnete, glatte Flächen, auf denen sich Befunde wie Verfärbungen oder auftauchende Objekte gegebenenfalls sichtbar abzeichnen, so dass sie mit Sorgfalt freigelegt, dokumentiert und geborgen werden können. Und das ist schwieriger als gedacht, da die lehmhaltige Erde des Wolbersackers in getrocknetem Zustand steinhart ist und zuerst mit Feuchtigkeit aufgeweicht werden muss. Die Keramik aber reagiert sehr empfindlich auf Wasser. Sie sollte so wenig wie möglich damit in Berührung kommen, da sie aufquellen, aufweichen und zerfallen könnte. Gründe dafür sind sowohl die grobporöse Tonzusammensetzung und die niedrige Brenntemperatur vorgeschichtlicher Keramiken von kaum mehr als 600 °C, als auch die Abbauprozesse, denen die Keramik im Laufe ihrer Bodenlagerung unterlag.

Nachdem das Sediment also nur so viel wie nötig befeuchtet wurde, gräbt sich das Freilegungswerkzeug Zentimeter für Zentimeter tiefer in den Becher. Das Sediment jeder entnommenen Schicht wird in einzelnen Fundtüten dauerhaft aufbewahrt und kann in Zukunft analytisch ausgewertet werden.

Der Blick in den Glockenbecher während der Sedimententnahme (von links nach rechts). Fotos: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.
Der Blick in den Glockenbecher während der Sedimententnahme (von links nach rechts). Fotos: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.

Obwohl der Becher sich immer weiter leert, bleibt die Entdeckung weiterer Objekte in seinem Inneren aus. Aber eine gewisse Spannung besteht trotzdem, denn allein das gesammelte Sediment kann viele Informationen enthalten. Darin enthaltene Pflanzenrückstände können analysiert werden und Hinweise auf die Pflanzenvielfalt der vergangenen Jahrtausende geben oder sogar über ein mögliches Mahl informieren, das dem Toten mit ins Jenseits gegeben wurde.

Gleiche Seitenansicht des Glockenbechers im Eingangszustand (links) und im restaurierten Zustand (rechts). Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.
Gleiche Seitenansicht des Glockenbechers im Eingangszustand (links) und im restaurierten Zustand (rechts). Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.

Der Zustand des Bechers ist so gut, dass er seine Form auch ohne den stützenden Sedimentkern hält und als zusammenhängendes Objekt konserviert werden kann. Dass sich Keramikbehältnisse dieses Alters in einem Stück erhalten, ist äußerst selten! Nach der Oberflächenreinigung werden abblätternde Partien gefestigt und destabilisierende Risse mit einer der Keramik in Farbe und Textur ähnlichen Kittmasse geschlossen.

Nur bei genauerem Hinschauen sieht man die nun geschlossenen Risse, wohingegen der Becher aus dem Betrachterabstand so wirkt, als wäre er erst vor Kurzem abgestellt worden. Die rotbraune Farbe des Glockenbechers stammt übrigens von Eisenverbindungen, die der mit Kalksplittern und Sand gemagerte Ton beinhaltet. Bei einem oxidierenden Brand, also einem Brand unter sauerstoffreicher Atmosphäre, wandeln sich Eisenverbindungen in rotbraune Verbindungen um und geben der Keramik ihren Charakter.

Die Konservierung der Knochen: Was geht zu weit?

Nachdem die Konsolidierung der Knochen schon einen stabilen Zustand der Knochensubstanz herbeiführte, gibt es immer noch fehlende Knochenelemente, Risse, Splitter und hohlliegende Bereiche, die konservatorisch versorgt sein wollen. Jetzt muss entschieden werden, wie weit man geht. Welche Fragmente werden wieder miteinander verbunden? Welche Bereiche werden ergänzt? Was kann bleiben wie es ist? In dieser Hinsicht orientieren wir Restaurator*innen uns an Grundsätzen, die z.B. in der Charta von Venedig formuliert sind.  Darin heißt es u.a. in Artikel 9: „Die Restaurierung (…) findet dort ihre Grenze, wo die Hypothese beginnt“. Übertragen auf die Knochenergänzung bedeutet dies, dass zum Beispiel die rechte fehlende Schädelhälfte nicht rekonstruiert werden sollte, da wir nicht wissen können, wie sie ausgesehen hat. Dem Verstorbenen würde dies eine verfälschte Schädelform geben.

Beinknochen vor (links) und nach der Restaurierung (rechts) mit geschlossener Probeentnahmestelle am linken Schienbeinknochen. Fotos: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.
Beinknochen vor (links) und nach der Restaurierung (rechts) mit geschlossener Probeentnahmestelle am linken Schienbeinknochen. Fotos: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.

Dahingegen ist klar, wie das während der Untersuchung aus dem Schienbein entnommene Knochenstück ausgesehen hat. Diese Fehlstelle kann somit wieder geschlossen werden. Mit einer acrylgebundenen Ergänzungsmasse, die neben Marmormehl und Hohlglaskügelchen auch feines Holzmehl enthält, lässt sich die Textur des umliegenden Originalknochens sehr gut imitieren. Mit der Retusche verschwindet die Ergänzung schließlich fast – aber nur fast, denn es ist für zukünftige Restaurator*innen wichtig, auf einen Blick nachvollziehen zu können, wo Veränderungen vorgenommen und welche Materialien eingesetzt wurden. Unterstützend dazu entsteht im Zuge der Endzustandsfotos auch ein Bild, das unter ultravioletter (UV) Strahlung aufgenommen wurde. Der Vorteil dieser Methode ist, dass Oberflächen durch das Auftreffen kurzwelliger UV-Strahlung photophysikalisch angeregt werden und je nach Material spezifisch fluoreszieren. Das Bild macht alle Ergänzungen der Knochen als hellblau fluoreszierende Bereiche sichtbar, während diese Stellen für die Betrachter*innen im Museumslicht kaum noch zu entdecken sein werden.

Gesamtaufnahme unter UV-Strahlung (links) und Detailvergrößerung mit hellblau fluoreszierenden Ergänzungsbereichen (rechts). Foto/Bearbeitung: J. Vogel/S. Domke, LVR-LandesMuseum Bonn.
Gesamtaufnahme unter UV-Strahlung (links) und Detailvergrößerung mit hellblau fluoreszierenden Ergänzungsbereichen (rechts). Foto/Bearbeitung: J. Vogel/S. Domke, LVR-LandesMuseum Bonn.

Konservierung menschlicher Überreste: Ist das eigentlich ethisch korrekt?

Über die grundlegende Frage, ob es ethisch überhaupt vertretbar ist, menschliche Überreste zu konservieren und öffentlich zugänglich zu machen, kann lange diskutiert werden, ohne eine allgemeingültige Antwort darauf zu finden. Um sich eine Meinung zu bilden, hilft vielleicht ein Blick zurück in die Geschichte des Sammelns menschlicher Überreste. Denn wie vermutlich schon vor Jahrtausenden sprechen Menschen auch heute noch in vielen Kulturen sterblichen Überresten von Ahnen, religiösen Persönlichkeiten oder besiegten Feinden besondere Macht zu oder bringen ihnen besondere Spiritualität und Teilhabe entgegen. (Deutscher Museumsbund e.V.: Empfehlungen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, 2013, 12.) Im christlich geprägten Europa kam spätestens mit dem im Mittelalter aufkommenden Reliquienkult große Bewegung in das Sammeln menschlicher Überreste, die bis heute überwiegend an geweihten Orten aufbewahrt und präsentiert werden. Mit der Entstehung von Raritäten- und Kuriositätenkabinetten und den späteren Wunderkammern, wurden seit der Renaissance unterschiedlichste Kulturgüter zusammengetragen und größtenteils ohne inhaltliche Trennung zur Schau gestellt. Gleichzeitig wuchs auch das naturwissenschaftliche Verständnis um den menschlichen Körper. Konservierte menschliche Präparate oder Skelettteile fanden den Weg in z.T. bis heute bestehende medizinische Lehrsammlungen. Die Wunderkammern wurden mit voranschreitendem wissenschaftlichen Verständnis und der Aufklärung von den heutigen Museen abgelöst. Und auch das LVR-LandesMuseum Bonn ist „eine gemeinnützige, auf Dauer angelegte, der Öffentlichkeit zugängliche Einrichtung im Dienste der Gesellschaft und ihrer Entwicklung, die zum Zwecke des Studiums, der Bildung und des Erlebens materielle und immaterielle Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt beschafft, bewahrt, erforscht, bekannt macht und ausstellt“ (Ethische Richtlinien für Museen von ICOM, 2010). Ein Ort also, an dem Wissenschaft sichtbar wird! Die öffentliche Zugänglichkeit der menschlichen Überreste des Toten aus Rheinbach im Museum stellt einen identitätsbildenden Faktor für uns Menschen, die heute im Rheinland leben dar und dient gleichzeitig als Wissensspeicher für sehr verschiedene Wissenschaftsfelder. Nichtsdestotrotz muss bei allen Untersuchungen, konservatorischen Maßnahmen und öffentlichen Handlungen die Menschenwürde gewahrt werden, denn die gilt nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes auch über den Tod hinaus. Menschliche Überreste sind kein „Objekt“, egal wie alt sie sind. Der sensible und respektvolle Umgang mit menschlichen Überresten beginnt somit bereits bei der Bergung, setzt sich in der Konservierung und Restaurierung fort und wird in der musealen Vermittlung beibehalten.

Präsentationstechnische Maßnahmen: Alles Formsache

Gemäß der Vorstellung „Das Runde muss in das Eckige“ geht es nach der Konservierung weiter mit den präsentationstechnischen Maßnahmen, durch welche die Blockbergung wieder als Grab erfahrbar werden soll. Da sie die Reihe von Skelettfunden, welche die Menschheitsgeschichte des Rheinlandes in der Dauerausstellung repräsentieren, ergänzen wird, orientiert sich das Präsentationskonzept des jungsteinzeitlichen Grabes an den anderen ausgestellten Gräbern. Ähnlich wie bei Lilith, deren sterbliche Überreste im letzten Beitrag Thema waren, soll die von den Grabungskolleg*innen aus Gewichtsgründen oval geborgene Grabstätte aus Rheinbach ebenfalls eine quaderförmige Grundform erhalten.

Dazu wurden bereits lange, weiße Platten auf dem Hof angeliefert: Geschäumtes Polyethylen mit besonderer Härte und Druckfestigkeit bei gleichzeitig geringem Gewicht sowie chemischer Inertheit. Ideal, um entsprechende Formteile zuzusägen, die, einmal verklebt, das Runde schließlich zum Eckigen werden lassen.

Aufbau des Ergänzungsbereichs mittels geschäumter Polyethylenplatten (links) und Anlegen der Oberflächentextur im Ergänzungsbereich mit acrylatgebundender Lehmmasse. Fotos: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.
Aufbau des Ergänzungsbereichs mittels geschäumter Polyethylenplatten (links) und Anlegen der Oberflächentextur im Ergänzungsbereich mit acrylatgebundender Lehmmasse. Fotos: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.

Es nimmt Form an. Nach mehr als einem Jahr kommen wir schließlich zum schönsten Teil jeder Restaurierung – den Abschlussarbeiten, die den Fund aus der Bearbeitungsphase herausheben und ihm sozusagen die Aura eines Grabes zurückgeben sollen.

Einpassung des Glockenbechers in eine Aussparung des Ergänzungsbereichs für seine Rückversetzung an das Fußende des Bestatteten. Foto.: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.
Einpassung des Glockenbechers in eine Aussparung des Ergänzungsbereichs für seine Rückversetzung an das Fußende des Bestatteten. Foto.: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.

Dafür wird die Oberfläche des Blockes in den die Blockbergung umliegenden Bereich imitiert. Da das Oberflächenniveau um bis zu drei Zentimeter variiert, kommt ein Ausgleichsmörtel zum Einsatz, der u.a. expandiertes Vermiculit enthält: Mineralische Kristallblättchen, die herkömmlicherweise auch als Katzenstreu oder Bodenabdeckungen im Gemüseanbau zum Einsatz kommen, einmal stark erhitzt aber zu einem voluminösen, würmchenförmigen Material heranwachsen – optimal, um einen leichten, aber füllstarken Mörtel herzustellen. Für den zweiten Schritt, den Auftrag des Deckmörtels, kommt Dr. Martin Heinen mit der Hauptzutat nochmals persönlich in die Werkstätten. Er setzt zwei volle Eimer Erde ab: „Original vom Wolbersacker, damit das Ganze auch authentisch wird“.

Und mit der Endretusche geht am Ende dann alles sehr schnell. Noch eine Prise gesiebte Wolbersacker-Erde und plötzlich ist es fertig: Das Grab des Toten vom Wolbersacker, vereint mit dem Glockenbecher und den zwei Steinwerkzeugen, fast so als wäre es gerade erst auf dem Acker in Rheinbach vom Grabungsteam um Dr. Martin Heinen entdeckt worden. Und doch ist es um einige Ereignisse der vergangenen Monate reicher!

Wie sich das Grab nun präsentiert, schauen wir uns im nächsten Beitrag dieser Serie zusammen mit dem zuständigen Fachreferenten Dr. Ralf Schmitz an. Erfahrt mehr über die Bergung, Öffnung und Untersuchung der Blockbergung in Teil 1-5 der Blogserie Ein Block im Blog.

[Susanne Domke]

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