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Klara Niemann LVR-LandesMuseum Bonn

„Ich gehe einen anderen fotografischen Weg“

Eine kurze Biografie der Fotografin Angela Neuke

Durchsucht man Bibliothekskataloge und das Internet nach der Fotografin Angela Neuke, finden sich nur wenige Suchergebnisse. Informationen zu ihrem Lebensweg bleiben in Datenbanken und Ausstellungskatalogen bis auf wenige Ausnahmen stichwortartig und verweisen meist auf dieselben drei Stationen: ihr Studium bei Otto Steinert, ihre spätere Professur an der Universität-Gesamthochschule Essen sowie ihre Tätigkeit als freie Fotojournalistin.

Im Zuge der Beschäftigung mit Angela Neukes Nachlass werden die Wissensfragmente an dieser Stelle erstmals zu einer detaillierteren Biografie zusammengetragen, durch die sich ein facettenreiches Bild von Leben und Werk der Fotografin zeichnen lässt.

Erste Stationen fotografischer Ausbildung in den frühen 60er Jahren

Angela Neuke wird am 10. Oktober 1943 in Berlin als Tochter von dem Maler und Grafiker Götz Neuke[1] und seiner Frau Friedl geboren. Mit 18 Jahren schlägt sie eine Laufbahn als Fotografin ein: Zwischen 1961 und 1963 lernt sie unter anderem im Bad Homburger Studio der Fotografin Erika Wachsmann (1903–1997) sowie an der Fotoschule Marta Hoepffner in Hofheim im Taunus. Marta Hoepffners (1912–2000) renommierte Schule bestand bereits seit 1949 und ist für eine künstlerische und experimentelle Herangehensweise an die Werbe- und Modefotografie bekannt.[2] Wie Angela Neuke 1993 in einem Interview beschreibt, liegen ihre Ambitionen zunächst genau in diesem Bereich der fotografischen Arbeit.[3] Mit Hoepffner und auch Wachsmann hat sich die junge Fotografin zwei Lehrerinnen ausgesucht, die sich vor dem Zweiten Weltkrieg selbst an der Frankfurter Städelschule bei Willi Baumeister in Gebrauchsgrafik hatten ausbilden lassen. Der Maler hatte die avantgardistischen Strömungen der Zeit sowie verschiedene Medien in die Gestaltung von Werbemitteln eingeschlossen, was wahrscheinlich auch das künstlerische Verständnis von Fotografie der beiden Schülerinnen prägte.

Möglicherweise werden diese frühen Stationen in Neukes Leben in Publikationen gerade wegen ihrer späteren Hinwendung zum Journalismus kaum erwähnt. Insgesamt ist über diese Zeit nur wenig bekannt; im Nachlass befinden sich lediglich einige Fotografien aus dieser Zeit, etwa von Stillleben-Arrangements.

Schwarz-weiß Fotografie. Vor einem dunklen Hintergrund das helle Gesicht der Fotografin, die frontal in die Kamera schaut.
Angela Neuke, Selbstporträt, um 1963 © J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.

Der Weg zum Bildjournalismus

Eine erste Anstellung als Layouterin bei der Werbeagentur Doyle Dane Bernbach (DDB) in Düsseldorf, damals eine der zehn größten Agenturen ihrer Art,[4] gibt die junge Fotografin 1963 für ein Studium der Fotografie bei Prof. Otto Steinert an der Folkwangschule für Gestaltung in Essen auf. Mit dem Begriff der Subjektiven Fotografie prägt der Fotograf Steinert (1915–1978) in der Nachkriegszeit die deutsche Fotoszene und trägt maßgeblich zur Legitimation der Fotografie als künstlerisches Medium bei. Neben experimentellen Ansätzen ist der Bildjournalismus ein besonderer Aspekt seiner Lehre, was unter zahlreichen anderen Studierenden auch Angela Neukes Werdegang beeinflussen wird. Nach eigener Aussage ist es erst das Studienthema der Auslandsreportage, das ihr den Fotojournalismus als berufliche Perspektive näherbringt. 1965 nutzt Neuke die Aufgabenstellung, um nach Moskau und Leningrad (heute Sankt Petersburg) zu reisen. Dort sieht sie sich plötzlich mit den Widersprüchen zwischen dem in den westlichen Medien vermittelten Bild vom Osten und ihren eigenen Erlebnissen konfrontiert:

„Durch diese Reise habe ich zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, daß man mich in unserem westlichen Land politisch belogen hatte, mit all dem, was uns von jenseits des ‚Eisernen Vorhangs‘, von den bösen ‚Roten‘ berichtet wurde. Als 22jährige hat mich die neue Erfahrung, nämlich dort kluge und friedliche Menschen vorzufinden, tief geprägt. […] 1965 war das noch eine neue Erkenntnis, denn erst ein halbes Jahr vorher waren die ersten ernstzunehmenden Berichte vom Leben in der UdSSR erschienen.“[5]

Das medienreflexive Bewusstsein und die kritische Haltung, die die junge Fotografin aus dieser Erfahrung heraus entwickelt, werden sie in den folgenden Jahren begleiten und ihre Arbeit und Bildthemen gravierend beeinflussen.

Bereits während ihres Studium erscheinen erste Bilder Angela Neukes in Printmedien. Fotografien von der Russlandreise wie eine Aufnahme eines jungen Paares in der Moskauer U-Bahn sind ihre ersten ausgestellten Arbeiten[6] und erscheinen beispielsweise in der Wochenzeitung Die ZEIT[7], aber auch in der Fotofachzeitschrift spiegelreflex praxis,[8] in deren Redaktion sie 1966 arbeitet. Vermutlich bedingt durch diese Anstellung beendet sie ihr Studium in Essen vorzeitig. Ihr Examen bei Steinert wird sie erst 1976 ablegen.

Freiberuflichkeit und redaktionelle Anstellungen 1967–1980

1967 lässt sich Angela Neuke offiziell als freie Journalistin registrieren[9] und fotografiert zunächst überwiegend für den Rheinischen Merkur. Zugleich beginnt sie, sich mit ihrer fotografischen Arbeit für die Kinderhilfsorganisation Terre des Hommes zu engagieren. Ihre Bilder von vietnamesischen Kindern, die Opfer von Napalm-Angriffen wurden und in Deutschland und der Schweiz behandelt werden, finden in den Folgejahren immer wieder Verwendung für Spendenaufrufe in Zeitungen.

Gelbe Ausweiskarte, rechts ein kleines schwarz-weiß Passfoto einer Frau von den Schultern aufwärts. Auf dem Ausweis steht: 18. Internationale Filmfestspiele Berlin. Bildberichter-Ausweis Nr. 37.
Im Sommer 1967 fotografiert Neuke bei den Berliner Filmfestspielen. In den Unterlagen findet sich ihr Ausweis als Bildberichterstatterin. © J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.

Nach dem Verkauf einer Reportage über den Weltumsegler Wilfried Erdmann 1968 nimmt sie ein Angestelltenverhältnis als Bildberichterstatterin bei dem Magazin Quick an.[10] Die in dieser Zeit veröffentlichten Bilder mit politischem Inhalt porträtieren vorwiegend die Jugend der 68er Bewegung (etwa die Serie „Jugend 96“[11]). Es erscheinen aber auch Bilder aus der Prominentenszene wie 1970 eine Homestory zum damaligen Quizmaster Hans-Joachim Kulenkampff im Kreise seiner Familie. Im selben Jahr endet Angela Neukes Arbeit für Quick und sie wird das erste Mal Mutter. Aus ihrer Ehe mit dem Architekten Sampo Widmann gehen zwei Töchter hervor, die 1970 und 1973 geboren werden. Nachdem die Ehe geschieden wurde, veröffentlicht die Fotografin zunächst weiterhin unter dem Doppelnamen Neuke-Widmann. Später wird sie jedoch wieder häufiger nur ihren Geburtsnamen verwenden.

In den 70er Jahren arbeitet Neuke freiberuflich in München. Von dort aus dokumentiert sie einschneidende Ereignisse in der Geschichte der Bundesrepublik wie den Terror im Münchener Olympiadorf 1972 oder die Beisetzungen Hanns Martin Schleyers und der RAF-Mitglieder Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan Carl Raspe 1977. Sie beginnt zudem, sich intensiver mit den neuen Frauenbewegungen auseinanderzusetzen und sich in diesem Kontext zu engagieren. Für die Brigitte-Serie „Bericht aus Bonn“ begleitet sie beispielsweise weibliche Abgeordnete in der Bundeshauptstadt; in Emma werden ihre Bilder vom Frauenkongress in Ludwigshafen 1975 veröffentlicht. In derselben Zeitschrift erscheint 1977 eine sehr persönliche und kritische Reportage über ihre Erfahrungen als inzwischen alleinerziehende Mutter einer Tochter mit Down-Syndrom. Auch in der berühmt gewordenen stern-Titelstory „Wir haben abgetrieben“ vom 6. Juni 1971 steht sie mit ihrer Person für ein feministisches Thema – gegen den damals wie heute umstrittenen Paragrafen 218 – ein. In den Jahren 1977 bis 1980 werden ihre Bilder in der Presse wieder häufiger veröffentlicht, zugleich nimmt aber auch ihre Beteiligung an Ausstellungen zu – zumeist im Zusammenspiel mit Otto Steinert und anderen seiner Studierenden oder durch einen Schwerpunkt speziell auf Fotografinnen.

Lehre und Projekte während der Professur in Essen 1980–1997

1980 wird Angela Neuke Professorin für Illustrationsphotographie und Bildjournalistik an der Universität-Gesamthochschule (UGH) Essen im Fach Kommunikationsdesign. Der übergeordnete Fachbereich Gestaltung war 1972 mitsamt der dort angesiedelten Fotografie von der Folkwangschule an die UGH verlegt worden. Damit tritt Neuke in gewisser Weise die Nachfolge ihres eigenen Lehrers Steinert an. Als eine ihrer wichtigsten Aufgaben versteht sie es, ihre Studierenden dazu zu befähigen, eine eigene Bildsprache zu finden und darin eine reflektierende Perspektive auf die Welt einzunehmen.[12] Zu den Charakteristika ihrer Lehre gehört dementsprechend das interdisziplinäre Arbeiten. So kommen ihre Studierenden bei einer Seminaraufgabe zum Thema „Wohnen“ für das Institut für Jugendforschung und pädagogische Praxis (SoSe 1989) mit soziologischen Fragestellungen in Berührung. Ebenso werden sie in Projekten mit außeruniversitären Partnern wie dem Magazin stern (1986) bereits mit der späteren Arbeitswelt vernetzt. In Gastvorträgen präsentieren zudem internationale Vertreter*innen aus Fotografie, Bildjournalismus, Redaktion und Kunst – darunter Garry Winogrand, Ilse Bing, Peter Magubane und Klaus Honnef – ihre Arbeit oder ein relevantes Thema. Die Zusammensetzung der Referierenden ist Ausdruck von Angela Neukes ganzheitlichem Verständnis von der Bildjournalistik.

1982 erhält sie in der fotografischen Sammlung des Museum Folkwang in Essen ihre erste Einzelausstellung. Unter dem Titel „Angela Neuke-Widmann: Persönlich erlebte Geschichte – Bilder aus Reportagen 1967–80“ steht sie im Kontext einer Ausstellungsreihe, die ausschließlich Fotografinnen zeigt. Zunehmend finden ihre Reportagefotografien aber auch Platz in Ausstellungen, die aktuelle fotografische Perspektiven auf die Bundesrepublik verhandeln. Dies ändert sich mit der Umsetzung ihres ersten fotografischen Forschungsschwerpunkts, in dem sie den eigenen Arbeitsbereich der Pressefotografie reflektiert.

In der zweiten Hälfte der 80er Jahre beginnt Neuke, gezielt die mediale Darstellung politischer Ereignisse kritisch ins Bild zu setzen. Als Rahmen dafür wählt sie die Annäherung von Ost und West, die sie in Form der Gipfeltreffen zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow und schließlich der deutschen Einheit festhält. In Bonn, Genf, Washington, Moskau und Berlin entstehen 1985 bis 1990 die Fotografien, die unter dem Titel „Staatstheater – Mediencircus“ zwischen 1986 und 1995 sechs Mal monografisch als Gesamtprojekt und darüber hinaus auch in Gruppenausstellungen gezeigt werden – etwa 1989 im New Yorker International Center for Photography.[13] Die zentralen Stilmittel der Serie fasst Neuke zusammen als „Farbe, Mittelformat-Kamera, Blitzlicht.“[14]

Für die 90er Jahre setzt die Professorin einen neuen Forschungsschwerpunkt auf den globalen Nord-Süd-Konflikt. Dafür beginnt sie zunächst, fotografische Bestandsaufnahmen vom Alltagsleben verschiedener Bevölkerungsgruppen in Indonesien zu machen, um dortige Einflüsse der Industrienationen und Folgen der Globalisierung festzuhalten. Dabei stellt sie sich die Aufgabe, „einen anderen fotografischen Weg“[15] zu gehen und sowohl den eurozentrischen Blick der in der Kolonialzeit praktizierten Dokumentarfotografie als auch die romantisierende Reisereportage hinter sich zu lassen.[16] Auf einer ihrer Forschungsreisen kommt sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Daniel Rieser bei einem Flugzeugabsturz über Alaska am 11. August 1997 ums Leben. Das fotografische Material dieses letzten Projekts, das sie bewusst für Ausstellungen vorsah, ist bis heute jedoch kaum gezeigt worden.


[Klara Niemann, Forschungsvolontärin]


[1] Vgl. Kürschner, Joseph; Fergg-Frowein, Charlotte (Hg.): Kürschners Graphiker-Handbuch. Deutschland, Österreich, Schweiz. Graphiker, Illustratoren, Karikaturisten, Gebrauchsgraphiker, Typographen, Buchgestalter. De Gruyter 1959, S. 126.

[2] Für weiterführende Literatur vgl. Scheid, Eva: Lichtbilder – Bilder des Lichts. Marta Hoepffner. Fotokünstlerin und Pädagogin. Hofheim am Taunus 1997.

[3] Vgl. Weigend, Norbert: Angela Neuke: Die Wirklichkeit ist subjektiv. In: Essener Unikate. Berichte aus Forschung und Lehre 2, Nr. 3 (1993): 68-79, hier S. 70.

[4] Vgl. Strache, Wolf; Steinert, Otto (Hg.): Das Deutsche Lichtbild. Jahresschau 1967. Stuttgart 1967, S. 179-180.

[5] Weigend, Norbert: Angela Neuke: Die Wirklichkeit ist subjektiv. In: Essener Unikate. Berichte aus Forschung und Lehre 2, Nr. 3 (1993): 68-79, hier S. 70.

[6] Vgl. den Ausstellungskatalog Museum Folkwang (Hg.): Otto Steinert und Schüler. Fotografie als Bildgestaltung. Essen 1967.

[7] Vgl. Ausgabe vom 21.10.1966, Nr. 43, S. 60-61.

[8] Vgl. Ausgabe Nr. 3 (1966), S. 9-15.

[9] Im Magazin Der Journalist wird Neuke unter den Neuanmeldungen im Hessischen Journalisten-Verband gemeldet, vgl. Der Journalist, Nr. 11 (1967), S. 38.

[10] Vgl. Hubmann, Hans: Fotoreporterinnen. In: Fotomagazin, Nr. 7 (1970), S. 12. Die betreffende Reportage in Quick, Nr. 22 (19.05.1968), S. 16-18.

[11] Vgl. Quick, Nr. 27-31 (1969).

[12] Vgl. Olschewski, Petra: Ausbildung zum Bildjournalisten: Eigene Handschrift gefragt. In: Photographie, Nr. 11 (14, 1990), S. 96–98, hier S. 96.

[13] Vgl. den Ausstellungskatalog International Center of Photography (Hg.): Culture Medium. Sophie calle, Sarah Charlesworth, Donigan Cumming, Dieter Froese, Allan McCollum, Angela Neuke. New York 1989.

[14] Olschewski, Petra: Ausbildung zum Bildjournalisten: Eigene Handschrift gefragt. In: Photographie, Nr. 11 (14, 1990), S. 96–98, hier S. 97.

[15] Weigend, Norbert: Angela Neuke: Die Wirklichkeit ist subjektiv. In: Essener Unikate. Berichte aus Forschung und Lehre 2, Nr. 3 (1993): 68-79, hier S. 78

[16] Vgl. Neuke, Angela; Mettler-Meibom, Barbara; Nestvogel, Renate: Fotografien aus Indonesien zeigen den Kulturwandel. In: Essener Universitätsberichte, Nr. 1 (1995), S. 13-18.

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