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Anne Segbers

Fachtagung „Kultur inklusiv – netzwerken! partizipieren! bilden!“

Wir Museumsmitarbeiter*innen fahren regelmäßig zu Tagungen und Fortbildungen, um auf dem neusten Stand zu bleiben und neue Anregungen für unsere Arbeit zu bekommen. Am letzten Wochenende war ich bei einer Tagung zu Inklusion in Hildesheim, bei der nicht nur Kolleg*innen aus Museen waren, sondern auch aus anderen Kultursparten, zum Beispiel vom Theater oder aus Musikschulen. Außerdem waren auch Sozialträger und Menschen mit Behinderung dabei.

Die Tagung wurde veranstaltet von einem Projekt in Hildesheim, das zum Ziel hat, mehr Menschen mit Behinderung die Teilnahme an Kulturveranstaltungen zu ermöglichen. Beteiligt sind sowohl Kultureinrichtungen, wie das Roemer- und Pelizaeus-Museum, das Theater für Niedersachsen oder die Volkshochschule (VHS), als auch Sozialinstitutionen, wie die Diakonie und die Malteser. Die Malteser organisieren zum Beispiel einen Fahrdienst, sodass Menschen mit Behinderung kurzfristig anrufen können und zu einem Konzert gefahren werden. Mittlerweile wird dieses Angebot fast jeden Tag angenommen.

Neben den in der Mitte des Bildes liegenden Abstracts zur Fachtagung „Kultur inklusiv – netzwerken! partizipieren! bilden!" in Hildesheim gab es zu der Veranstaltung auch ein Heft in Leichter Sprache und einen Flyer des Projektes der Stadt Hildesheim. Foto: A. Segbers, LVR-LandesMuseum Bonn.
Neben den Abstracts zur Fachtagung „Kultur inklusiv – netzwerken! partizipieren! bilden!“ in Hildesheim gab es zu der Veranstaltung auch ein Heft in Leichter Sprache. Foto: A. Segbers, LVR-LandesMuseum Bonn.

In der Tagung sollte darüber diskutiert werden, wie Inklusion in der Kultur besser gelingen kann. Dies gilt sowohl für Kulturnutzer*innen als auch für Kunstschaffende, also Künstler*innen mit Behinderung. Dazu hatten die Organisator*innen zu Beginn den Aktivisten Raúl Krauthausen als Festredner eingeladen. Raúl Krauthausen setzt sich seit vielen Jahren für Inklusion ein, er ist viel in Social Media unterwegs, aber auch ein gefragter Redner. Er sprach über den „Umgang mit Behinderten im täglichen Leben“ und erläuterte anhand vieler kleiner und großer Beispiele, wie rückständig Deutschland bei der Inklusion behinderter Menschen noch ist. So kritisierte er, dass die Aktion Mensch ein solches Projekt finanziere, denn eigentlich müsste der Staat bzw. die Kommune dafür aufkommen, dass jede*r beispielsweise zur Oper kommt und sich dort auch ein Ticket leisten kann. Zudem ärgerte Krauthausen sich darüber, dass in den Eingangsreden der Politiker*innen häufig die Worte „toll“ und „helfen“ vorkamen – Worte die in Sachen Inklusion unangemessen seien, denn weder sei es „toll“, wenn Menschen mit Behinderungen irgendwo mitmachen „dürften“, noch müsse man ihnen ständig „helfen“. Die Meinungen des Publikums waren beim anschließenden Empfang geteilt: so fanden einige, dass es gut und notwendig war, so aufgerüttelt zu werden. Andere fühlten sich etwas vor den Kopf gestoßen, wurden doch ihre Bemühungen um Inklusion als unzureichend dargestellt.

Der links im Bild stehende Bildschirm kündigt das Thema und die Vortragenden an. Foto: A. Segbers, LVR-LandesMuseum Bonn.
Im Themenbereich „Netzwerken“ wurde unter anderem das Projekt „Kulturinklusiv“ aus Hildesheim vorgestellt. Foto: A. Segbers, LVR-LandesMuseum Bonn.

Am nächsten Tag begann die Tagung mit dem Themenbereich Netzwerken, der deutlich machte, dass ohne ein großes Netzwerk Inklusion nicht passieren kann. Kommune, Kulturinstitutionen und Sozialträger müssten sich mit Menschen mit Behinderung vernetzen, um herauszufinden was diese überhaupt möchten, um dies dann umzusetzen. Besonders interessant fand ich den Vortrag von Johanna von der Waydbrink von der Servicestelle Inklusion im Kulturbereich aus Sachsen, die deutlich machte, wie sie es mit Netzwerken schafft, Kulturangebote und ihre Nutzer*innen auch im ländlichen Raum zusammen zu bringen und auch Kunstschaffende zu vernetzen.

Nach der Mittagspause ging es mit dem Thema Partizipieren weiter. Meine Kollegin Simone Mergen aus dem Haus der Geschichte fasste zusammen, wie die Museen in Deutschland zu Inklusion stehen. Sie verdeutlichte, dass das Thema gerade „Konjunktur“ hat. Es sind jedoch meist die Museumspädagog*innen, die Inklusion wollen und vorantreiben. Es müssen jedoch alle in den Museen, vor allem auch die Direktor*innen und Geschäftsführer*innen, Inklusion wollen und sie umsetzen. Benjamin Rowles aus Wien zeigte in seinem Vortrag, dass auch Menschen mit LGBTIQ-Hintergrund sich oft in Museen nicht wiederfinden. Er hat im Kunsthistorischen Museum Wien daher zu queeren Themen Führungen als von ihm auch privat verkörperte Drag Queen angeboten. Das Programm war extrem beliebt – dennoch hat er es eingestellt, da er immer nur pro Führung vergütet wurde und ihm das Museum kein festes und somit gesichertes Beschäftigungsverhältnis anbieten konnte.
Im Anschluss an die Vorträge gab es die Möglichkeit, das Roemer- und Pelizaeus-Museum in Führungen zu besichtigen.

Taktile Karte der Räumlichkeiten mit unterschiedlichen Farbtönen und Braille-Schrift. Foto: A. Segbers, LVR-LandesMuseum Bonn.
Unter dem Motto „Museum der Sinne“ wird im Roemer- und Pelizaeus-Museum die Dauerausstellung zur Kultur- und Erdgeschichte barrierefrei erfahrbar gemacht. Hier zu sehen ist eine taktile Karte der Ausstellung. Foto: A. Segbers, LVR-LandesMuseum Bonn.

Schließlich kam am dritten Tag die Bildung in den Fokus, mit zwei Vorträgen aus der Wissenschaft. Oliver Musenberg und Marc Ruhlandt sprachen über Inklusion an der Universität und stellten fest, dass gerade (mehrfach) schwer behinderte Menschen bisher nahezu keine Chance haben, an universitären Veranstaltungen teilzunehmen, geschweige denn einen Abschluss zu erreichen. Auch als Thema in den Lehrveranstaltungen kommen sie allenfalls in den Erziehungswissenschaften vor. Peter Tiedeken schließlich beleuchtete Inklusion und kulturelle Bildung aus einer ökonomischen Perspektive. Er stellte die inklusive Band „Station 17“ vor, die ihre inklusiven Aspekte sehr schätzen, gleichzeitig aber am großen Musikmarkt keine Chance haben. Tiedeken stellte die provokante Frage, warum es Angebote gibt, die Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt bringen sollen – der aber gerade im künstlerischen Bereich schon für Menschen ohne Einschränkung extrem umkämpft ist.

Alles in allem war es eine bereichernde Tagung, bei der ich viele unterschiedliche Menschen kennengelernt habe. Der Blick hat sich über den Tellerrand der Museen gerichtet und mir geholfen, Inklusion noch aus anderen Blickwinkeln zu sehen. Kulturelle Teilhabe bedeutet nicht nur, an Kulturveranstaltungen selbstverständlich teilnehmen zu können, sondern auch, als Künstler*in mit Behinderung arbeiten und davon leben zu können.

[Anne Segbers, LVR-LandesMuseum Bonn]

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