Kategorien
Susanne Haendschke

Schriftentausch

Eine lang bewährte Praxis in Gefahr

Für Bibliotheken, besonders für Museums- und Forschungsbibliotheken, ist der internationale Schriftentausch eine lange bewährte Praxis und ein wichtiges Mittel für den Bestandsaufbau. Auch die Bibliothek im LVR-LandesMuseum unterhält Tauschbeziehungen zu fast tausend Partnerbibliotheken im In- und Ausland, zu einigen davon seit über 180 Jahren!

Zu den ersten Tauschpartnern zählten Museen und Forschungsinstitutionen, die wie das Bonner Provinzialmuseum einen Schwerpunkt in der archäologischen Forschung setzen: die Antiquarische Gesellschaft in Zürich, die Provinciaal Frisch Genootschap in Leeuwarden und die Archaeological Society in London. Weitere frühe Tauschpartner waren Heimat- und Geschichtsvereine, die im 19. Jahrhundert zahlreich gegründet wurden, wie z.B. die Heimatvereine in Halle, Mainz, Darmstadt, Kiel, München, Wien und Prag. 1851 werden in den Bonner Jahrbüchern 25 „Akademieen und Vereine“ genannt, welche in „literarischer Verbindung“ stehen, sprich: Tauschpartner sind.

Die Wissenschaftscommunity der Archäologen war im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert überschaubar: man kannte sich, korrespondierte miteinander, und so entstanden erste Tauschvereinbarungen auf der Grundlage persönlicher Kontakte. Später wurde der Schriftentausch systematisch aus- und aufgebaut. Heute erhalten wir 524 Zeitschriften unserer knapp 900 Abonnements aus dem In- und Ausland im Schriftentausch. Als Gegengabe bieten wir die Bonner Jahrbücher und die ebenfalls jährlich erscheinenden „Ausgrabungen im Rheinland“ an. Der Tausch verläuft genauso zuverlässig und pünktlich wie bei jedem gekauften Abonnement.

Auf einem Tisch liegen zwei Stapel Bücher, darüber reicht ein Händepaar einem anderen einen Ausstellungskatalog.
Im Schriftentausch werden unter anderem Ausstellungskataloge an andere Bibliotheken geschickt. Foto: LVR-LandesMuseum Bonn.

Neben den erwähnten Zeitschriften und Schriftenreihen zur Archäologie versenden wir auch die Ausstellungskataloge des LVR-LandesMuseums, die neben archäologischen auch kunsthistorische oder kulturgeschichtliche Themen präsentieren: Von Eva’s Beauty Case bis zu den Germanen, von der Fotografie der 1980er Jahre bis zu niederländischen Stillleben, von Fundgeschichten bis zur Szene Rheinland. Ob ein Tauschpartner gleich sämtliche Kataloge oder nur ausgewählte Publikationen erhält, ist vom Sammelprofil des jeweiligen Museums bzw. seiner Bibliothek abhängig. Die Fotografie-Museen in Deutschland, Frankreich, Norwegen, Kanada, der Schweiz und anderswo erhalten daher nur unsere Kataloge zur Fotografie, die Institutsbibliotheken der unterschiedlichen Fakultäten sind auf ihre Spezialgebiete fokussiert, und auch viele Museumsbibliotheken erwerben aus Platzgründen nur gezielt zu bestimmten Themenbereichen. Institutionen, die ähnlich wie das LVR-LandesMuseum ein breit gefächertes Sammlungs- und Ausstellungsprofil haben, erhalten dagegen das ganze Spektrum unserer Publikationen. Unser Schriftentausch ist ganz auf die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen Tauschpartner ausgerichtet. Im engen Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen werden Absprachen getroffen, Sammelprofile angepasst und Wünsche erfüllt.

Wissenschaftliche und finanzielle Win-Win Situation

Der Schriftentausch hat in den vergangenen Jahrzehnten Krisen, politische Wirren und Konflikte relativ unbeschadet überstanden. Während des sogenannten Kalten Krieges wurden Forschungsberichte und wissenschaftliche Zeitschriften in die DDR, nach Polen, die Tschechoslowakei, nach Ungarn, Rumänien und die UdSSR verschickt und entsprechende Gegengaben empfangen.

Auch in Zeiten von Sparzwängen und knappen Finanzressourcen konnte der Schriftentausch bisher aufrechterhalten werden. Vielleicht, weil die (Porto-)Kosten gering und der Nutzen umso größer waren? Denn der Nutzen besteht ja nicht nur in einem reibungslosen Bestandsaufbau für die beteiligten Bibliotheken – interessante Ausstellungskataloge sind die beste Werbung für den Besuch einer Ausstellung!

Blick in die Regalreihen der Bibliothek.
Blick in die Regalreihen der Bibliothek. Foto: LVR-LandesMuseum Bonn.

Müssten wir alle Publikationen, die wir zurzeit im Schriftentausch erhalten, im Buchhandel kaufen, dann müsste unser Bibliotheksetat mindestens verdoppelt werden. Bisher ist es effizienter, die Auflage unserer Publikationen so zu berechnen, dass wir ein festes Kontingent davon für den Tausch nutzen können. Der Wert des fachlichen Netzwerks, welches durch den Schriftentausch gesponnen wird, ist dabei kaum zu ermessen!

Neue Herausforderungen

Trotz der allgemeinen Anerkennung des Systems und der seit langer Zeit etablierten Erwerbungsmethode ist der Schriftentausch mit unseren Partnern aus dem Nicht-EU-Ausland sei kurzem ernsthaft bedroht.!

Am 1. Juli 2021 hat die EU neue Handelsbestimmungen eingeführt, seitdem müssen alle Handelsgüter verzollt werden und unterliegen der Mehrwertsteuer. Geschenke von Institutionen wie Museen, Bibliotheken und Archiven sind nicht mehr vorgesehen und der Tausch wird dem kommerziellen Handel gleichgesetzt.

Für den Tausch mit Partnern z.B. in der Schweiz, in Norwegen, den USA, in Großbritannien oder in Israel führt das zu einem komplizierten bürokratischen Verfahren, vor allem aber zu ganz erheblichen zusätzlichen Kosten, die viele (Museums-)Bibliotheken nicht bewältigen können. Kosten und Aufwand sind dabei auf beide Tauschpartner verteilt: Während der Sender ins Nicht-EU-Ausland bereits hohe Portokosten trägt, Zollerklärungen in vierfacher Ausführung (keine Kopien erlaubt) zusammenstellt und Deklarationen für den Paketdienstleister formuliert, wird dem Empfänger die Sendung nur gegen Zahlung einer weiteren Zoll- und Bearbeitungsgebühr ausgehändigt. In vielen Fällen muss die Sendung beim Zollamt oder einer Niederlassung des Paketdienstleisters persönlich abgeholt werden. Die Bearbeitungsgebühr, die der Paketdienstleister erhebt, steht dabei in keinem Zusammenhang mit dem Wert der Sendung, sondern wird recht willkürlich festgelegt, wie Vergleiche der letzten Monate ergeben haben.

Was also tun?

Um den Austausch von wissenschaftlichen Publikationen, Zeitschriften und Museumspublikationen mit Instituten des Nicht-EU-Auslands weiterhin erhalten zu können, versucht die Fachgruppe Museumsbibliotheken der Arbeitsgemeinschaft der Kunst- und Museumsbibliotheken (AKMB), gemeinsam mit anderen bibliothekarischen Verbänden auf eine Sonderregelung für den wissenschaftlichen Schriftentausch hinzuwirken. Von den derzeit gültigen Zollvorschriften ist jedoch nicht nur der Schriftentausch, sondern auch die internationale Fernleihe der Universitätsbibliotheken und der internationale Leihverkehr der Museen betroffen. Eine EU-weite gesetzliche Ausnahmeregelung für den unentgeltlichen Austausch von Wissenschaftssendungen wäre auch für diese Bereiche dringend geboten.

Bleibt zu hoffen, dass es uns gemeinsam gelingen wird, den Schriftentausch mit Partnerbibliotheken außerhalb der EU zu erhalten.


[Susanne Haendschke, Leiterin der Bibliothek des LVR-LandesMuseums Bonn]

Mehr Informationen zu dem Thema finden Sie auf dem Internetauftritt der Arbeitsgemeinschaft der Kunst- und Museumsbibliotheken.

Eine Antwort auf „Schriftentausch“

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..