Eine Goldlederkasel in der Restaurierungswerkstatt des LVR-LandesMuseums Bonn
Wenn bei archäologischen Ausgrabungen Funde ans Tageslicht kommen, ist nicht immer auf den ersten Blick klar, was man vor sich hat. Manchmal auch nicht auf den zweiten. So war es auch bei der baubegleitenden Ausgrabung der Firma Goldschmidt Archäologie und Denkmalpflege im Sommer 2017. Auf dem Areal einer alten Pilgerkapelle und späteren Kirche wurden mehrere menschliche Überreste in Gräbern aus dem 17. Jahrhundert entdeckt. Eines dieser Gräber zog die besondere Aufmerksamkeit aller Beteiligten auf sich: Ein großes Lederstück bedeckte die Knochen des Verstorbenen. Nicht nur der Erhalt dieses Materials im Boden ist eine Besonderheit. Ein goldenes und silbernes Aufblitzen unter dem Schmutz versprach etwas ganz Besonderes!
So gelangte das Lederstück in die Restaurierungswerkstatt des LVR-LandesMuseums Bonn, wo ich es im Rahmen meines zweijährigen wissenschaftlichen Volontariats konserviere, restauriere und ihm dabei seine Geheimnisse entlocke.

Im ersten Teil dieses Beitrags ging ich der Frage nach, worum es sich bei dem ungewöhnlichen Lederstück handelt. Unter dem großen Stück Leder kamen noch zwei weitere, kleine Lederstücke zum Vorschein. Und so konnte ich herausfinden, dass wir es hier mit einem Ornat liturgischer Gewänder, bestehend aus Kasel, Stola und Manipel zu tun haben. Das Ornat ist aus reich verziertem Leder, sogenanntem Goldleder, hergestellt. Paramente, vor allem liturgische Kleidung, aus Goldleder sind ungewöhnlich. Meist bestanden sie aus kostbaren Seidenbrokatstoffen. Goldleder wurde vor allem in Form lederner Wandbehänge, sogenannter Goldledertapeten, in sehr reichen Häusern verwendet. So kann man sie beispielsweise in Schlössern des 16. bis 18. Jahrhunderts finden, wo sie den repräsentativen Räumen bis heute einen ganz besonderen, luxuriösen Charme verleihen. Entsprechend gibt es auch einige historische Quellen, die die verwendeten Materialien und Herstellungsweisen beschreiben. Auf diese können wir uns bei der Frage nach der Herstellung der Kasel stützen. Denn neben der Konservierung und Restaurierung, deren Schritte ihr im ersten Beitrag verfolgen konntet, gehen wir Restaurator*innen bei solch außergewöhnlichen Stücken auch der Frage nach, welche Materialien und Methoden zur Herstellung dieser Luxusmaterialien verwendet wurden. Daher schauen wir uns in diesem Beitrag an, aus welchen Materialien die Kasel hergestellt wurde und welche Arbeitsschritte dazu nötig waren.
Die Kasel: Woraus besteht sie?

Bei der Frage nach der Herstellung, Funktion und den verwendeten Materialien lässt sich vieles durch die genaue Betrachtung des Objekts herausfinden. Anderes kann mit naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden herausgefunden oder bestätigt werden.
Am LVR-LandesMuseum Bonn haben wir die Möglichkeit, Röntgenbilder anzufertigen. In einem gut abgeschirmten Raum im Untergeschoss des Museums können unterschiedlichste Materialien „durchleuchtet“ werden. So können äußerlich unsichtbare Strukturen sichtbar gemacht werden, was häufig auch schon Materialansprachen und Aussagen über Schadensbilder ermöglicht. Bevor ich herausfand, worum es sich bei unserer Kasel handelte, wurde diese ebenfalls geröntgt. Dabei wurden die Falten auf der Unterseite sichtbar, ohne dass das Leder gewendet werden musste. Auch Stola und Manipel, von denen zu diesem Zeitpunkt noch niemand etwas ahnte, konnten ausgemacht werden. Daneben zeichneten sich kleine Steine und Verschmutzungen zwischen den Falten ab. Die Prägung der Lederoberfläche und das aufgelegte Metall auf der Oberfläche konnte von den Röntgenbildern aber nicht wiedergegeben werden.
Goldleder ist bis auf wenige Ausnahmen stets nach dem gleichen Prinzip aufgebaut: Ein Stück Leder wurde mit Blattmetall versilbert. Es folgte der Auftrag eines gelbbraunen Lackes, der einen Goldglanz imitierte. Gegebenenfalls folgte eine weitere Bemalung mit verschiedenen Farben. Abschließend wurde die Oberfläche mit Hilfe von Punzeisen mit Mustern verziert. Unter dem Mikroskop kann dieser Aufbau an der Kasel nachempfunden und die einzelnen Materialien genauer erkannt und unterschieden werden.
Zunächst stellt sich die Frage nach dem Leder als Grundmaterial. Die Haut welcher Tierart wurde wohl verwendet? Wenn Leder gut erhalten ist, lässt sich diese Frage meist durch die Beschaffenheit seiner Oberfläche klären: In Fachkreisen Narbenbild genannt, besitzt jede Lederart eine besonders genarbte Oberfläche, die charakteristisch für die jeweilige Tierart ist. Es entsteht durch die Poren, die die einzelnen Fellhaare des Tiers hinterlassen. Bei Goldleder wird die Oberfläche jedoch meist vollständig überprägt, sodass die Porenstruktur nicht mehr sichtbar ist. Nach langem Suchen entdeckte ich jedoch einen kleinen Bereich, der beim Punzieren womöglich vergessen wurde. Die kleinen Reihen, die die Haarfollikel bilden, verraten uns, dass es sich um Ziegenleder handelt. Schon mit bloßem Auge erkennt man, dass das Leder versilbert und bemalt ist.

In den historischen Texten wird beschrieben, dass Wandbehänge komplett mit Blattmetall belegt wurden, auch die Bereiche, die später bemalt wurden. Wurde die Kasel analog dazu hergestellt? Durch die schwarze Bemalung war kein metallischer Schimmer mehr zu sehen. Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, bedienten wir uns einer weiteren naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethode. Bei der sogenannten Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) wird Röntgenstrahlung für die Bestimmung von Metallen verwendet. Dabei lassen sich nicht nur chemische Elemente nachweisen, sondern auch deren jeweilige Menge im untersuchten Bereich angeben. Diese Analyse können wir am LVR-LandesMuseum Bonn selbst durchführen. An mehreren gemessenen Stellen der Kasel konnte eindeutig Silber nachgewiesen werden. Wie schon in den historischen Quellen beschrieben, konnten auch bei der Kasel unter der Bemalung weiteres Silber entdeckt werden. Gold, wie es der Name Goldleder vermuten ließe, ist nirgends vorhanden, denn es wird durch den gelbbraunen Lack lediglich imitiert.
Über dem Silber befinden sich verschiedene Bemalungen: der goldfarbene Überzug und die schwarzen floralen Ornamente. Über die Herstellung dieser Ornamente können wir ebenfalls in historischen Quellen einiges finden. Doch gibt es vor allem für den Goldlack eine so große Bandbreite an Rezepturen, dass daraus nicht auf unsere Kasel geschlossen werden kann. Also entschloss ich mich, weitere Analysen durchzuführen. Eine ganze Reihe an Untersuchungen wurde durchgeführt, um die verwendeten Pigmente und Bindemittel zu bestimmen (mikroskopische Untersuchungen unter UV- und polarisiertem Licht, RFA-Untersuchungen, Infrarot – und Raman-Spektroskopie sowie chromatographische Verfahren). Die Analysen zeigten, dass es sich bei der schwarzen Bemalung um ein feines Kohlenstoffschwarz handelt, das mit einem Bindemittel aus einer Öl-Harz-Mischung aufgetragen wurde. Die goldgelbe Farbe kam durch gelben Ocker zustande. Die genaue Zusammensetzung des Goldlacks konnte leider nicht geklärt werden. Doch spricht alles dafür, dass hier eines der vergleichsweise einfacheren Rezepte verwendet wurde.

Über der Bemalung wurden abschließend Punzen in das Leder geschlagen, um ein Relief aus stilisierten Blüten, Rechtecken, Rauten, Karos, Kreisen und Linien zu erzeugen. Diese „eingestempelten“ Muster unterstützen die gemalten Formen, indem sie ihren Linien folgen und so Flächen strukturieren. Mindestens acht unterschiedliche Punzeisen wurden verwendet.
Nachdem die Materialzusammenstellung und Herstellung des Goldleders größtenteils geklärt werden konnte, nahm ich die Innenseite unter die Lupe: Von der Innenseite waren Kasel, Stola und Manipel mit einem fein gewebten Textilstoff gefüttert, der an den Rändern mit dem Leder vernäht war. Geringe Reste dieses Textils und ein Großteil des Nähfadens sind erhalten. Doch bedarf es an dieser Stelle naturwissenschaftlicher Untersuchungsmethoden, um die Materialien zu identifizieren. Proben des Stofffutters wurden von einer Textilspezialistin unter dem Mikroskop untersucht und anschließend mit Hilfe verschiedener Chemikalien analysiert. Dabei zeigte sich, dass die Kasel mit einem Seidenstoff gefüttert war. Die ursprüngliche Farbe ist nicht mehr zu erkennen, jedoch wurde Seide als kostbarer Stoff gerne für Paramente, also kirchlichen Textilien, verwendet. Der Nähfaden besteht nicht aus Seide, sondern wahrscheinlich aus Wolle. Somit konnten fast alle Materialien, aus denen die Kasel besteht, bestimmt werden. Dabei decken sich die Analyseergebnisse größtenteils mit den historischen Quellen.
Goldleder: Wie geht das?
Quellen und historische Rezepte zu lesen ist spannend und die Betrachtung eines Objekts kann viele Fragen klären. Doch wie genau funktionierte das alles in der Praxis? Diese Frage stellen sich Experimentalarchäologen immer wieder und auch mich ließ dieser Gedanke nicht mehr los. Also ausprobieren! Natürlich habe ich nicht die gleichen Voraussetzungen wie die Goldlederhersteller*innen des 17. und 18. Jahrhunderts, doch um einen Eindruck der einzelnen Arbeitsschritte zu erhalten, sollte es ausreichen.
Vor jedem Experiment steht das Wälzen von Literatur. Die Angaben und Rezepte in Kombination mit den Analyseergebnissen der Kasel boten eine gute Grundlage für meinen Versuch und gaben vor, welche Materialien ich benötigte.

Ein kleiner Bereich am Rand des Kaselstabs, des goldfarbenen Mittelstreifens, diente mit seinen Punzen und Farben als Ausgangspunkt. Hier wurde das Leder versilbert, teilweise mit dem Goldlack und schwarzer Farbe bemalt und anschließend mit zwei unterschiedlichen Punzen verziert, die eine stilisierte Blüte sowie ein in vier Felder unterteiltes Rechteck zeigen. Sie dienten mir als Vorlage für die Gestaltung meines Goldleders.

Der erste Arbeitsschritt bestand darin, ein Stück Leder zu versilbern. Historisch wurden meist Schafs-, Ziegen- oder Kalbsleder verwendet. Ein Stück Kalbsleder in der richtigen Dicke war schnell gefunden. Es wurde über Nacht in Wasser eingeweicht und anschließend geglättet. Damit das Silberblatt auf dem Leder haftet, rieb ich die Lederoberfläche mit Hasenleim ein. Um historisch korrekt zu bleiben, geschah dies mit bloßen Händen. Das Blattmetall, das jetzt aufgelegt wurde, war deutlich dicker als das heutige handelsübliche Blattsilber. Dieser Punkt ist wichtig, da es andernfalls beim Punzieren reißen würde. Nach dem Trocknen des Leims konnte ich das Silber auf Hochglanz polieren.


Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.
Nun war es Zeit für ein bisschen Farbe! Für den Goldlack orientierte ich mich sowohl an den Analyseergebnissen als auch an den historischen Quellen. Da die alten Rezepte meist ungemein aufwändig waren und eine Vielzahl verschiedener Inhaltsstoffe und Arbeitsschritte vorschrieben, entschied ich mich für eines, das deutlich einfacher war und den Analyseergebnissen der Kasel am nächsten kam. Eine Pigment-Öl-Mischung auf der Hälfte der Silberfläche verlieh ihr ihre besondere, goldene Erscheinung. Eine schwarze Bemalung folgte, die sich wiederrum an der des ausgewählten Kaselbereichs orientierte.

Die Prägung, also Punzierung, der Oberfläche war der letzte Arbeitsschritt. Da die Punzen der Kasel sehr fein gearbeitet waren, entschied ich mich auch hier für eine etwas vereinfachte Variante der Blüten und Rechtecke. Ich übertrug die Formen auf Eisenstäbe und arbeitete sie durch feilen und sägen in Form einer Blüte und eines in kleine schraffierte Quadrate unterteilten Rechtecks. Mit jeweils einem kräftigen Hammerschlag wurden einzelne Blüten und Rechtecke sorgfältig auf dem Leder nebeneinandergesetzt. Während das Silber an der Kasel größtenteils etwas verschwärzt ist, zeigt die Rekonstruktion deutlich, wie leuchtend sich die silbernen von den „vergoldeten“ Bereichen ursprünglich absetzten.


Natürlich kann sich meine Rekonstruktion eines Goldleders in seiner Feinheit und Professionalität nicht mit der Expertise historischer Goldledermacher messen. Doch lassen sich die einzelnen Arbeitsschritte gut nachvollziehen und ermöglichen einen tollen Einblick in die Herstellung solch besonderer Stücke.

Wenn ihr neugierig geworden seid, könnt ihr die Goldlederkasel im LVR-LandesMuseum anschauen! Sie ist noch bis zum 08. Mai 2022 in der Ausstellung „Archäologie im Rheinland“ zu sehen.
[Thea Schuck, wissenschaftliche Volontärin, Restaurierung, LVR-LandesMuseum Bonn]
3 Antworten auf „Es ist nicht alles Gold, was glänzt… Teil II“
Guten Tag, toller Bericht und eine tolle Arbeit. Zuerst war ich irritiert, weil Sie den Begriff Blattmetall verwendeten. Ich dachte, da würde eine „einfaches“ Metall verwendet. Das wäre dann wohl aber korrodiert. Erst später kommt der Hinweis, dass es Silber ist. Somit haben Sie es geschafft, dass ich weitergelesen habe, bis diese Frage geklärt war. 😊
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Lieber Herr Wittwer, wir freuen uns sehr, dass Ihnen der Artikel gefällt und unsere Autorin Ihre Aufmerksamkeit fesseln konnte. Viele Grüße aus dem LVR-LandesMuseum!
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[…] Es ist nicht alles Gold, was glänzt…Teil 2 […]
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