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Susanne Domke

Ein Block im Blog – Teil 1: Die Bergung

Von der Bergung bis zur Ausstellung – Eine jungsteinzeitliche Bestattung im LVR-LandesMuseum Bonn

Es herrscht immer eine besondere Atmosphäre, wenn bei einer Ausgrabung überraschend menschliche Überreste in Form von Bestattungen gefunden werden. Im Januar 2018 entdeckten Archäologen auf dem Wolbersacker in Rheinbach ein menschliches Skelett, dessen Alter auf mehr als 4000 Jahre geschätzt wird. Ein Glücksfall, denn laut Aussagen von Experten handelt es sich um das erste erhaltene Skelett im Rheinland aus der Zeit um 2500 – 2050 v. Chr.: Ein Mensch der ausgehenden Jungsteinzeit.

Im Rahmen meines zweijährigen wissenschaftlichen Volontariates in den Restaurierungswerkstätten des LVR-LandesMuseums Bonn übernehme ich die Arbeitsschritte zwischen der Bergung und der geplanten Ausstellung ab dem Jahr 2020. Dazu berichte ich als Restauratorin in meinen Blog-Beiträgen über spannende Untersuchungsergebnisse, knifflige Konservierungs- bzw. Restaurierungsmaßnahmen und die vielen Stationen, die das jungsteinzeitliche Skelett auf dem Weg zum Ausstellungsobjekt in der neuen Dauerausstellung durchläuft.

Abb. 1 Das freigelegte Skelett mit Becher und zugehöriger Grabungsbezeichnung. (Foto: Arthemus GmbH)
Abb. 1 Das freigelegte Skelett mit Becher und zugehöriger Grabungsbezeichnung. (Foto: Arthemus GmbH)

Wie kommt das Skelett ins Museum?

Der Archäologe Dr. Martin Heinen von der Grabungsfirma Arthemus GmbH ist in Fachkreisen bekannt für seinen Spürsinn. Er entdeckte schon viele Male herausragende Objekte, wenn niemand mehr damit rechnete. Und so fiel ihm auch im Januar 2018 in Rheinbach eine Stelle auf, an der er einen Fund vermutete. Er und sein Team legten ein Grab mit sterblichen Überresten frei (Abb. 1). Die verstorbene Person wurde in Hockstellung bestattet, das heißt seitlich liegend mit angewinkelten Beinen. Diese Bestattungsart sowie ein Becher (Abb. 2) und zwei Steinwerkzeuge als Grabbeigaben machten schnell klar, dass es sich um einen verstorbenen Menschen aus der Jungsteinzeit handeln muss.

Abb. 2 Eine der drei Grabbeigaben: Ein linienförmig verzierter Becher. (Foto: Jürgen Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn)
Abb. 2 Eine der drei Grabbeigaben: Ein linienförmig verzierter Becher. (Foto: Jürgen Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn)

Der Mensch lässt sich in die Zeit der Becherkulturen (2800-2050 v. Chr.) einordnen. Namensgebend für diese Kulturen sind besonders geformte keramische Gefäße, die – insofern sie sich bis heute erhalten haben – eine Datierung von Gräbern ermöglichen. Mitteleuropa wurde in der Jungsteinzeit von zwei großen Kulturgruppen dominiert: Den Glockenbechermenschen, deren Keramik glockenförmigen Bechern ähnelt und den Schnurkeramikern, die ihre Keramikgefäße mit Schnurabdrücken verzierten. Sie waren sesshaft, betrieben Viehzucht und Ackerbau. Außerdem begannen sie mit Kupfer zu experimentieren und schufen damit die Grundlage der Metallverarbeitung. Damit stehen die Becherkulturen zeitlich an der Schwelle von der Steinzeit zur Bronzezeit.

Nachdem Dr. Martin Heinen die zuständige Außenstelle des LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland über den Fund informiert hatte, versammelten sich Archäologen, Grabungstechniker, Restauratoren, und Fachreferenten an der Grabgrube in Rheinbach (Abb. 3). Sie beschlossen, das Skelett zu erhalten und veranlassten die Bergung und den Transport ins LVR-LandesMuseum Bonn. Die Bestattung wurde im Block geborgen, das heißt mit umgebendem Erdreich.

Abb. 3 Gemeinsame Besprechung auf dem Wolbersacker mit Christian Cremer, Sarah Hillebrand, Dr. Martin Heinen, Ute Knipprath, Regine Vogel, Dr. Ralf Schmitz u. Claudia Holtschneider (v. r. n. l.), im Vordergrund das freigelegte Skelett. (Foto: Jürgen Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn)
Abb. 3 Gemeinsame Besprechung auf dem Wolbersacker mit Christian Cremer, Sarah Hillebrand, Dr. Martin Heinen, Ute Knipprath, Regine Vogel, Dr. Ralf Schmitz u. Claudia Holtschneider (v. r. n. l.), im Vordergrund das freigelegte Skelett. (Foto: Jürgen Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn)

Wie eine solche Blockbergung abläuft und warum das Skelett einen echten Glücksfall für das Rheinland darstellt, beantwortete mir der Grabungsleiter Dr. Martin Heinen.

Herr Dr. Heinen, in Rheinbach fanden in den letzten Jahren immer wieder archäologische Ausgrabungen auf dem Wolbersacker statt. Warum wurden Sie im November 2017 erneut mit einer Grabung beauftragt?

Der Stadt Rheinbach ist es gelungen einen Investor für die Erweiterung des Gewerbegebiets an der A 61 zu finden. Auf dem mehr als 10 ha großen Bauareal folgten die üblichen Voruntersuchungen. Darunter waren zum Beispiel Untersuchungen bezüglich im Boden enthaltener Kampfmittel aus dem zweiten Weltkrieg und geologische Analysen zur Überprüfung der Bautauglichkeit des Geländes. Zudem erteilte das LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland die Auflage das Areal vor Baubeginn archäologisch untersuchen zu lassen, denn schon im Winter 2004/2005 wurden auf dem Wolbersacker und an vielen anderen Stellen im Rheinbacher Gewerbegebiet Siedlungsreste aus vergangener Zeit festgestellt. Auf dem Areal des heutigen Gewerbegebietes bestand einst eine große Siedlung. Verfärbungen und Spuren vergangener Pfosten und Wände zeigen, dass hier während der Kultur der Bandkeramik im Zeitraum zwischen 5300 und 4900 v. Chr. mindestens 30 Häuser gestanden haben. Ähnlich wie bei den Becherkulturen leitet sich die Kultur der Bandkeramik von Mustern ab, mit denen die Menschen damals ihre Gefäße verzierten. Die Zeiten der Becherkulturen und die der Bandkeramik liegen mehr als 2000 Jahre auseinander (Abb.4). Anhand der Becherformen, den Verzierungen und Bestattungsriten können wir die Funde zeitlich einordnen.

Vor der baulichen Erweiterung des Gewerbegebietes konnten wir durch unsere Arbeit also wichtige archäologische Befunde untersuchen und Informationen über frühere Siedlungsaktivitäten verschiedener Kulturen auf dem Wolbersacker gewinnen.

Abb. 4 Die Menschheitsgeschichte im Rheinland. (Abb. Susanne Domke, LVR-LandesMuseum Bonn)
Abb. 4 Die Menschheitsgeschichte im Rheinland. (Abb. Susanne Domke, LVR-LandesMuseum Bonn)

Für archäologische Ausgrabungen gibt es unterschiedliche Strategien. Welche Arbeitsschritte haben Sie auf dem Wolbersacker gewählt?

Wie im Grabungsplan (Abb. 5) zu sehen, haben wir im Vorfeld der Grabung bis zu 250 m lange und 10 m breite Suchschnitte über das Bauareal verteilt. Die Suchschnitte ermöglichten uns das archäologische Potenzial des Geländes einzuschätzen und die Ausdehnung der zu erwartenden bandkeramischen Siedlung einzugrenzen. Wir erhielten viele Befunde der bandkeramischen Kultur und einige wenige der späten Bronze- und Eisenzeit. Völlig überraschend war die Entdeckung der jungsteinzeitlichen Bestattung, die niemand erwartet hatte.

Abb. 5 Grabungsplan der Grabungsfirma mit sichtbarem Raster der Suchschnitte und markierter Position der Grabstelle auf dem Wolbersacker in Rheinbach. (Abbildung: Arthemus GmbH)
Abb. 5 Grabungsplan der Grabungsfirma mit sichtbarem Raster der Suchschnitte und markierter Position der Grabstelle auf dem Wolbersacker in Rheinbach. (Abbildung: Arthemus GmbH)

Wie sind Sie auf das jungsteinzeitliche Grab aufmerksam geworden?

In dem Suchschnitt, in dem das Grab lag, waren bis auf einen schon lange bekannten mittelalterlichen Weg keinerlei Befunde zutage getreten. Auf der mit der Baggerschaufel glatt gezogenen Fläche, dem Planum, wurde allerdings eine schwache, ovale Verfärbung von etwa 1,8 x 1,0 m sichtbar. Vereinzelte Holzkohlestückchen an der Befundoberfläche haben uns dann dazu bewogen, die Verfärbung genauer zu untersuchen. Anfangs hatten wir auch überlegt, ob es sich nicht einfach um eine geologische Struktur handeln könnte. Demnach hätte es auch ein Baumwurf sein können, das heißt eine typische Struktur, die ein Wurzelballen eines umgestürzten Baumes in der Erde hinterlässt.

Der Befund wurde hälftig geschnitten um ein Profil anzulegen. Dabei kam recht bald der komplett erhaltene verzierte Becher zum Vorschein, der in diesem Erhaltungszustand eigentlich nur in einem Grab vorstellbar war (Abb. 6).

Von diesem Zeitpunkt an wurde der ca. 35 cm tiefe Befund noch vorsichtiger als bisher mit der Kelle ausgenommen. Schon nach wenigen Zentimetern stießen wir völlig überraschend auf erste Knochen. Die weiteren Arbeiten mit noch feineren Werkzeugen wie Stukkateureisen, Zahnarztbesteck und Pinseln führten dann zur Freilegung des fast vollständigen jungsteinzeitliche Skeletts. Von der heutigen Oberfläche aus betrachtet lag es etwa in 1 m Tiefe.

Abb. 6 Profil des Grabungsbefunds. (Foto: Arthemus GmbH)
Abb. 6 Profil des Grabungsbefunds. (Foto: Arthemus GmbH)

Das klingt nach einem echten Zufallsfund. Was macht das Grab so besonders?

Dieses Grab ist sicher ein ganz besonderer Glücksfall. Zum einen, weil Hinterlassenschaften aus der Zeit der Jungsteinzeit im Rheinland per se äußerst selten sind. Zum anderen, weil hier erstmals aus dieser Zeit eine Bestattung mit Knochenerhaltung in den rheinischen Lössbörden entdeckt wurde. Normalerweise vergehen Knochen nach wenigen Jahrhunderten in den im Rheinland vorkommenden sauren Lehmböden. Nur der Tatsache, dass das Grab bis knapp an die Grenze des tiefer liegenden kalkhaltigen Lösses eingetieft war, haben wir die überraschend gute Überlieferung der Knochen zu verdanken. Gleichzeitig hat die Tiefe der Grabgrube dazu beigetragen, dass die Bestattung nicht dem Ackerbau, d. h. den zum Teil 50 cm tief reichenden Pflugscharen zum Opfer gefallen ist. Wir können also sicher sein alle Beigaben aus nichtorganischen Materialien erfasst zu haben. Ob dem Verstorbenen oder der Verstorbenen (noch wissen wir es nicht genau) darüber hinaus Objekte aus organischem Material für die Reise ins Jenseits mitgegeben wurden, lässt sich nicht beantworten. Wenn es sie gab, sind sie bis heute längst vergangen.

Da der Grabbefund für das Rheinland in seiner Erhaltung und Seltenheit einzigartig ist, wurde von Seiten des LVR-LandesMuseums Bonn der Wunsch geäußert, das Grab komplett zu bergen, um es in der neu konzipierten Dauerausstellung präsentieren zu können.

Das Skelett wurde im Block geborgen, das heißt samt umgebendem Erdreich, in das es eingebettet ist. Worin liegen die Vorteile dieser Bergungsart und wie birgt man einen Block solcher Größe?

Archäologische Befunde werden bisweilen, vor allem wenn sie von besonderer Bedeutung sind, in ihrer Gesamtheit geborgen. Wenn man, wie im vorliegenden Fall, das Skelett mitsamt den Beigaben in Form eines Erdblockes dem Boden entnimmt, kann sichergestellt werden, dass alle Befundzusammenhänge gewahrt bleiben. Die Bestattung im Block erreicht somit die Museumswerkstätten für die weitere Bearbeitung exakt so wie sie im Erdreich vorgefunden wurde.

Blockbergungen können recht kompliziert sein, da es nicht immer leicht ist den Erdblock so zu fixieren, dass er nicht auseinanderbricht. Das jungsteinzeitliche Skelett wurde von uns auf einem, ca. 1,4 x 0,7 m großen Erdblock liegend geborgen. Nach der seitlichen Freistellung wurde der Block zunächst mit Stretchfolie ummantelt. Danach begann der schwierigste Akt: Das Lösen des Blockes vom Untergrund und seine Lagerung auf eine feste Platte. Mit einer von uns konstruierten Sedimentsäge lösten wir den Block ab und schoben im selben Arbeitsgang eine Platte darunter. Besonders wichtig war, die oben auf dem Sedimentblock liegenden Knochen und Beigaben so zu fixieren, dass sie beim Transport ins Museum ihre ursprüngliche Lage auf jeden Fall beibehielten. Dafür wurden die Knochen zunächst mit einer dünnen Folie abgedeckt. Auf diese Folie wurde Sand gestreut, der die Folie auf den Knochen in Position hielt. Nach einer weiteren Folienlage brachten wir enganliegende Gipsbinden auf, die das Ganze stabilisierten. Der verpackte Block wurde schließlich auf eine Palette geschoben und konnte unbeschadet transportiert werden.

Vielen Dank, Herr Dr. Heinen, für den aufschlussreichen Einblick in Ihre Arbeit!

Der Block wurde nach der Bergung in das Depot des LVR-LandesMuseums Bonn transportiert und im Kühlraum bis zur Konservierung zwischengelagert (Abb. 7). Die niedrigen Temperaturen sorgen dafür, dass Zersetzungsprozesse und mikrobielle Aktivitäten wie ein Befall durch Schimmelpilze aufgehalten oder verlangsamt werden.

Der verzierte Becher wurde separat geborgen und ins Museum gebracht.

Abb. 7 Die Blockbergung auf dem Weg ins LVR-LandesMuseum Bonn. (Foto: Susanne Domke, LVR-LandesMuseum Bonn)
Abb. 7 Die Blockbergung auf dem Weg ins LVR-LandesMuseum Bonn. (Foto: Susanne Domke, LVR-LandesMuseum Bonn)

Im nächsten Beitrag werde ich über die Öffnung der Blockbergung und die Freilegung der Knochen in den Restaurierungswerkstätten des LVR-LandesMuseums Bonn berichten – mit spannenden Beobachtungen zu Knochen und Zähnen.


Wer mehr über die Jungsteinzeit erfahren möchte, ist herzlich eingeladen in der Bibliothek des LVR-LandesMuseums Bonn zu schmökern. Für den Einstieg können wir folgende Literatur empfehlen:

  • Otten, Th., Kunow, J., Rind, M. M., Trier, M. (Hrsg.): Revolution Jungsteinzeit. Schriften zur Bodendenkmalpflege in Nordrhein-Westfalen, Band 11,1, Stuttgart/Darmstadt 2015.
  • Zimmermann, A., Meurers-Balke, J., Kalis, A. J.: Das Neolithikum, in: Kunow, J., Wegner, H.-H. (Hrsg.), Urgeschichte im Rheinland, Jahrbuch 2005 des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, Köln 2005, S. 159 – 202.

[Susanne Domke]

Hier gelangt ihr zum zweiten Teil der Serie: https://lvrlandesmuseumbonn.wordpress.com/2019/01/17/ein-block-im-blog-teil-2-die-offnung%ef%bb%bf/

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