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Charlotte Schreiter

Geschichte vermitteln – Museen neu denken

Eine Tagung im LVR-LandesMuseum Bonn in Kooperation mit dem Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz

 

Selten zuvor gab es weltweit so viele Museen wie heute – und ständig werden neue gegründet und eröffnet. Von kleinsten Alltagsgeräten bis hin zu spektakulären Kunstwerken: Museen gibt es heutzutage für nahezu alle Bedürfnisse.

Tagung Geschichte vermitteln - Museen neu denken. Rekonstruktion einer römischen Sonnenuhr aus dem Quirinus-Münster Neuss (Foto: St. Taubmann / LVR-LandesMuseum Bonn).
Tagung Geschichte vermitteln – Museen neu denken. Rekonstruktion einer römischen Sonnenuhr aus dem Quirinus-Münster Neuss (Foto: St. Taubmann / LVR-LandesMuseum Bonn).

Das LVR-LandesMuseum Bonn blickt auf eine lange Geschichte bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts zurück. In dieser Zeit wurde das ehemalige Rheinische Provinzialmuseum und spätere Rheinische Landesmuseum mehrmals neu gebaut und immer wieder umgestaltet.

Aber wie sieht es aktuell aus? Warum kommen wesentlich mehr Besucherinnen und Besucher in unsere Sonderausstellungen als in die Dauerausstellung?

Der Vortragssaal ist sehr gut gefüllt bei der Tagung, fast 200 Teilnehmer. Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.
Der Vortragssaal ist sehr gut gefüllt bei der Tagung, fast 200 Teilnehmer.
Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.

Dass diese Themen viele Menschen bewegen, zeigte sich in fast 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmern an unserer Tagung „Geschichte vermitteln – Museen neu denken“ am 14. November 2016. Sie sorgten für eine auf- und anregende Diskussion, denn mit Gästen aus den Niederlanden und Deutschland wurde darüber gesprochen, welche Ansätze zur Neugestaltung von Dauerausstellungen gegenwärtig geplant und erprobt werden. Diese Fragen brennen uns umso mehr unter den Nägeln, als mit dem Jubiläum 2020 auch eine Neuausrichtung der Dauerausstellung hier im Haus geplant ist.

Vorgestellt wurden das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig, die Ausstellung „One Planet“ im Museon in Den Haag, das Braunschweigische Landesmuseum, das Badische Landesmuseum Karlsruhe und das Allard Pierson Museum in Amsterdam. Professor Bernd Günter aus Düsseldorf steuerte einen Beitrag zu Besuchererwartungen am LVR-LandesMuseum Bonn bei.

Es sind also ganz unterschiedliche Museumstypen. Umso spannender war es, dass wir immer wieder ähnliche Beobachtungen machen konnten. Zuallererst fiel auf, dass viel stärker als noch vor wenigen Jahren gefragt wird: Wer sind eigentlich unsere Besucherinnen und Besucher? Was erwarten sie vom Museum? Was nehmen sie wahr? Wie können sie sich beteiligen?

Hans-Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland fasste dies sehr deutlich in der Bemerkung zusammen: „Der Besucher tut, was er will, und nicht, was wir wollen.“ Dies stellt die weit verbreitete Vorstellung auf den Kopf, Museen hätten in erster Linie ihre Besucherinnen und Besucher zu bilden. Es entspricht auch der Beobachtung von Maarten Okkersen vom Museon in Den Haag, dass derselbe Besucher zu verschiedenen Zeiten unterschiedliche Erwartungen an ein Museum haben kann. Vielmehr als früher muss man daher wohl davon ausgehen, dass wir nicht mehr von Besuchergruppen, sondern eher von Besuchererwartungen und -interessen sprechen sollten. Es ist daher nur folgerichtig, Besucherinnen und Besucher direkt zu fragen: Was wollt Ihr von unserem Museum wissen? Was interessiert Euch an welchen Objekten? Dies hat Wim Hupperetz vom Allard Pierson Museum in Amsterdam getan. Dabei kam heraus, dass dies fast immer ganz andere Fragen sind, als sie sich Museumsmacherinnen und Museumsmacher stellen.

Maarten Okkersen vom Museon in Den Haag in Aktion bei seinem Vortrag. Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.
Maarten Okkersen vom Museon in Den Haag in Aktion bei seinem Vortrag. Foto: J. Vogel, LVR-LandesMuseum Bonn.

All dies hat Folgen für die Dauerausstellungen: Tritt das Museum mit seinen Besucherinnen und Besuchern in einen ernst gemeinten Dialog ein, wird sich das Museum zwangsläufig ändern (müssen). Eine über Jahrzehnte unveränderte Dauerausstellung kann es unter diesen Voraussetzungen nicht mehr geben.

Diese Beobachtung hat in vielen Häusern bereits zu einem Umdenken geführt. Die Erzählung des Museums, das sogenannte „Narrativ“ muss offen bleiben, Besucherinnen und Besucher tragen ihre Erzählung bei und verändern dadurch das Ausgestellte. Heike Pöppelmann vom Braunschweigischen Landesmuseum stellte eine Lösung vor, bei der im Rundgang Räume freibleiben. Hier entfaltet sich wie in einer länger andauernden Sonderausstellung eine halb-permanente Dauerausstellung, eine ‚Dauerausstellung auf Zeit‘. Katarina Horster vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe stellte das Konzept vor, das momentan sicher am weitesten geht: Der Museumsbesucher soll hier künftig zum Nutzer werden, vergleichbar einem Nutzer in einer Bibliothek. In eine „Expothek“ soll er sich Objekte aus dem Sammlungsbestand des Hauses bestellen und vorlegen lassen können.

Vor allem aber sollen Besucherinnen und Besucher – egal welchen Alters, welcher Herkunft, unabhängig vom Bildungsgrad und möglichen Einschränkungen: sich wohlfühlen. Die Zeiten, in den karge Eingangsbereiche, überfüllte Vitrinen und langatmige Texte einen Museumsbesuch oft zur pflichterfüllenden Qual machten, sind wohl vorbei. Bernd Günter, Spezialist für Besucherforschung aus Düsseldorf, hat anhand des LVR-LandesMuseums Bonn vorgestellt, was schon erreicht wurde und wo noch nachgearbeitet werden kann.

Viele Museen haben sich aufgemacht, um ihre unbestreitbare Stärke als Hüter der Objekte auszuspielen und weiter zu entwickeln. Im Zentrum stehen dabei Besucherinnen und Besucher mit ihren Fragen und Interessen.

 

Programm der Tagung

http://www.landesmuseum-bonn.lvr.de/de/forschung/projekte/museen_neu_denken____tagung/museen_neu_denken.html

 

Milena Karabaic

LVR-Dezernentin für Kultur und Landschaftliche Kulturpflege, Grußwort

 

Dr. Martin Bredenbeck, Rheinischer Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz

Grußwort

 

Dr. Gabriele Uelsberg, LVR-LandesMuseum Bonn

Einführung

 

Prof. Dr. Hans Walter Hütter,

Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Bonn

Nach 20 Jahren: Die neue Dauerausstellung im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig

 

Maarten Okkersen, Museon, Den Haag

Reinventing the Museum – A New Vision and Brand Identity for Museon

 

Prof. Dr. Bernd Günter, Düsseldorf

Besuchererwartungen und Besucherlenkung im LVR-LandesMuseum Bonn – Ein Blick von außen

Dem Vortrag von Bernd Günter lag ein „Mystery Visiting“ zugrunde, das der Referent mit Mitgliedern der studentischen Kulturmanagement-AG ARTAMIS im September/Oktober 2016 durchgeführt hatte. Anhand eines systematischen Analyserasters von 11 Stationen eines Besuches im LVR-LandesMuseum („customer journey“) wurden dabei etliche Stolpersteine typischer Besuche vermerkt und auch positiv auffallende Besuchserlebnisse, ferner in Einzelfällen Ansätze zur Abhilfe benannt, die zu mehr Besucherorientierung führen können. Es scheint, als würde ein solcher Blick von außen auf einen Kulturbetrieb zu selten eingeholt und ausgewertet werden. Gerade bei der Planung größerer Umstrukturierungen ist aber diese Perspektive enorm wichtig und hilfreich.

 

Dr. Heike Pöppelmann, Braunschweigisches Landesmuseum

Archäologie und Geschichte des Braunschweiger Landes: Ein 25-Punkte-Manifest zur Neukonzeption des Braunschweigischen Landesmuseums

 

Dr. Katarina Horst, Badisches Landesmuseum Karlsruhe

Den Museumsbesucher zum Nutzer machen – Die Neukonzeption des Badischen Landesmuseums Karlsruhe

Das Badische Landesmuseum im Schloss Karlsruhe bekommt durch eine Generalgrundsanierung die Chance, das Museum komplett neu einzurichten, und erarbeitet dafür ein revolutionäres Konzept für die Sammlungsausstellung: Jedes Sammlungsobjekt für alle Bürger öffentlich zugänglich zu machen wie in einem großen Archiv und so den Besucher zum Nutzer des eigenen kulturellen Erbes zu machen.

Beitrag K. Horst (PDF)

 

Prof. Dr. Wim Hupperetz, Allard Pierson Museum, Amsterdam

Neukonzeption Allard Pierson Museum in Paradox

„Seit zwei Jahren ‘verbiete‘ ich meinen Kollegen, von einer Ständigen Ausstellung zu sprechen. Das Problem hiermit ist, dass man dann denkt, dass wenn die Neu-Einrichtung steht, dass man dann fertig ist. Ich bin der Meinung, dass es dann erst beginnt.“

Beitrag W. Hupperetz (PDF)

 

Dr. Gabriele Uelsberg/ Dr. Thomas Otten

Resümee

 

Links:

http://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-scala-aktuelle-kultur/audio-tagung-geschichte-vermitteln—museum-neu-denken-100.html

https://ikafferschmickler.wordpress.com/2016/11/16/tagung-museen-neu-denken/

 

4 Antworten auf „Geschichte vermitteln – Museen neu denken“

Ja, das denke ich auch. Interaktivität wird eine große Rolle spielen. Der Hinweis auf das Spionagemuseum ist klasse. Das wollte ich mir schon lange einmal genauer ansehen.
Mit herzlichen Grüßen, Stephanie Müller (LVR-LandesMuseum Bonn)

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Ein interessanter Beitrag. Ich frage mich bei aller Interaktivität und Gestaltung durch die Besucher aber trotzdem, inwieweit neben diesem begrüßenswerten Dienstleisteranspruch eine museumspädagogische Linie beibehalten werden kann. Oder schafft sich die Museumspädagogik langfristig ab?

Eine andere Frage, die mich beschäftigt: Wann erscheint der nächste blog-Eintrag?

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Lieber Herr Krupp,
das sind zwei sehr berechtigte und wichtige Fragen.
Zur ersten zur Museumspädagogik: Bei uns im Haus ist die Museumspädagogik ein zentraler Schwerpunkt, den wir auch noch intensiver betreiben möchten. Ich glaube nicht, das durch erweiterte Angebote sich die Museumspädagogik abschafft. Im Gegenteil, sie wir immer wichtiger.

Zum neuen Blogbeitrag: Sie haben Recht, es ist wirklich lange keiner mehr erschienen und das tut mir wirklich leid. Aufgrund von Krankheiten, Resturlaub und Weihnachtsferien etc. haben sich die Beiträge etwas verzögert. Allerdings wird noch heute der nächste online gehen mit einer Vorschau auf unser nächstes Ausstellungsjahr.

Mit ganz herzlichem Dank und Grüßen
Stephanie Müller

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